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Wo Handwerk zu Kunst wird

Dieser Artikel erschien in der MarktImpulse, Ausgabe 4/18

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Fotos: Daniel Elke

Soll in der Schweiz ein historisches Gebäude restauriert werden, klingelt wahrscheinlich bald Frank Jäggis Telefon. Der 48-Jährige gilt als Wunderheiler für in die Jahre gekommene oder bei lieblosen Renovierungen misshandelte Kostbarkeiten aus Stuck.

Barocke Engel mit gebrochenen Flügeln zählen zu seinen Patienten, auch Girlanden, denen die Vergoldung abhandengekommen ist, und unter dicken Farbschichten verschüttete Deckenrosetten. Für sie alle dreht der gefragte Stuckateur Jäggi die Zeit zurück.

Er ersetzt, vergoldet, formt Neues. Und überschreitet dabei auch schon mal die Grenze zwischen Handwerk und Kunst: Feine Reliefstuckaturen modelliert er vor Ort sogar von Hand nach. Auf diese Weise hat der Gipsermeister bereits unzähligen Prachtbauten wieder zu ihrer ursprünglichen Schönheit verholfen – und seiner Firma JäggiPagani AG zu landesweitem Ansehen.

 

Jahrzehntelang wurde Stuck entfernt oder übermalt. Heute erlebt er eine Renaissance.

Frank Jäggi, Gründer und Geschäftsführer

 

Warum er so erfolgreich ist, versteht man sofort, wenn er von seiner Arbeit erzählt und Sätze sagt wie diesen: "Es hat mich schon immer fasziniert, dass man mit relativ einfachen Mitteln so etwas Wunderschönes herstellen kann." Frank Jäggi ist Überzeugungstäter. Präzises Handwerk und Sinn für Ästhetik gehören bei ihm zusammen.

Dafür lieben ihn Denkmalschutzämter ebenso wie seine Privatkunden oder große Unternehmen. Die Liste seiner Projekte ist lang: Sie reicht von gediegenen Privatvillen und der Nationalbank in Zürich über das Luxushotel "Bellevue Palace" in Bern bis zum dortigen "Casino", einem märchenhaft schönen Konzertsaal aus dem Jahr 1908.

Ein Showroom wie eine Jugendstilvilla

In einem unscheinbaren Industriegebäude in Langenthal nimmt all diese Pracht ihren Anfang. Jäggis Stuckatelier ist ein geradliniger Zweckbau, dessen Äußeres nicht verrät, welche Schätze dort entstehen. Doch drinnen werden Besucher überrascht: In der ehemaligen Garage präsentiert der Firmenchef heute Rosetten und Ornamente aus seinem Sortiment.

Ein Stockwerk höher, im Showroom, hat er sogar ein kleines Wunder vollbracht: Unversehens fühlt man sich dort in eine elegante Jugendstilvilla versetzt. Auf dem Boden liegt echtes Parkett, Wände und Decke sind harmonisch in Grünschattierungen gehalten und natürlich mit vielfältigen Stuckelementen verziert – ein fantastisches Beispiel dafür, dass man selbst Neubauten historischen Charme einhauchen kann.

 

Frank Jäggi und Marcel Widmer, JäggiPagani AG

Bereits 1999 gründete Frank Jäggi in Langenthal im Schweizer Kanton Bern seinen ersten Stuckateurbetrieb. 2006 übernahm er zusätzlich den Malerbetrieb seines Vaters und 2014 gemeinsam mit dem Malermeister Marcel Widmer die Malerei und Gipserei Pagani, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiert. Heute heißt die Gesamtfirma JäggiPagani AG und ist ein hochmodernes Unternehmen, das Leistungen in drei Bereichen anbietet: Stuck, Malerarbeiten und Trockenbau.

 
  • <p>Die Geschäftsführer der JäggiPagani AG: Stuckateur Frank Jäggi (links) und Malermeister Marcel Widmer bilden ein perfekt eingespieltes Team.&nbsp;</p>

    Die Geschäftsführer der JäggiPagani AG: Stuckateur Frank Jäggi (links) und Malermeister Marcel Widmer bilden ein perfekt…

Der Raum sieht nicht nur edel aus, er fühlt sich auch so an, weil sein Schöpfer die Kunst der richtigen Dosierung beherrscht. Jäggis Maxime lautet: "Für mich ist es wichtig, dass ein Raum stilsicher gestaltet ist. Übertreibt man es mit dem Stuck, wird es Kitsch. Deshalb ist das hier auch keine Musterzentrale, sondern ein Arrangement, das die Vielfalt meines Angebots zeigt und trotzdem nicht überladen wirkt."

Gleich nebenan empfängt der Meister seine Kunden zur Beratung. An der Wand hängen Fotos seiner eindrucksvollsten Projekte, am Boden lagert in dekorativen Obstkisten eine charmante Kollektion aus Gips gegossener Früchte.

Die stellt er her, um zu zeigen, wie aus diesem Material auch Überraschendes entstehen kann. "Die Umgebung soll inspirieren und gleichzeitig Vertrauen schaffen", so Jäggi. "Die Menschen erleben hier, dass wir nicht nur schöne Bilder auf der Website haben, sondern wirklich etwas können." Vor der endgültigen Planung sieht er sich die Häuser seiner Klienten sehr genau an, vermerkt, welche Stuckverzierungen bereits an den Wänden sind, wie die Räumlichkeiten aufgeteilt und eingerichtet sind.

Das Ziel: ein harmonisches Gesamtkonzept, bei dem der Ästhet streng auf Symmetrien und den goldenen Schnitt achtet. Tapeten, Wandfarben und Lichtdesign bezieht er ebenfalls mit ein. Und natürlich eventuelle Spezialwünsche – selbst wenn sie ausgefallen sind.

"Das Material Gips eignet sich für fast alles: Ein Kunde wünschte sich einen Raum ohne Ecken und scharfe Kanten, die haben wir dann mit Gips abgerundet." Für eine Dame kreierte Jäggi auf Wunsch sogar ein Kunstwerk: ein 2,60 mal 1,70 m großes Wandbild mit einem Flügel aus Gips.

Lebensthema Stuck

Erfindungsreichtum, Leidenschaft und eine gewisse Abenteuerlust gehören zum Geschäft – und zu Frank Jäggis Charakter. Sie waren es auch, die ihn vor Jahrzehnten auf sein Lebensthema brachten: Statt nach der Malerlehre als Geselle weiterzuarbeiten, schloss der wissbegierige Teenager eine Zweitausbildung als Gipser an – in einem Betrieb, der auch Stuck herstellte: "Danach wollte ich nie mehr etwas anderes machen." Eine Entscheidung, die sich auszahlte. Bereits 1999 gründete er mit "Stukkdesign" seine erste eigene Firma.

2006 übernahm er zusätzlich den Malerbetrieb seines Vaters, und 2014 konnte er sein Unternehmen abermals vergrößern: Zusammen mit dem Malermeister Marcel Widmer übernahm er die Malerei und Gipserei Pagani und vereinte alle Betriebe unter dem Namen JäggiPagani AG: eine moderne und hocheffizient aufgestellte Firma, deren drei Standbeine sich so hervorragend ergänzen wie die beiden Geschäftsführer. Marcel Widmer ist für den Malerbereich zuständig, Frank Jäggi für Gipserei und Stuckdesign. Oft bringt ein Auftrag in einem der Bereiche gleich noch Arbeit für die anderen Sparten mit sich.

Spaß am Tüfteln

Am stärksten jedoch floriert der Stucksektor. "Dieses traditionelle Handwerk erlebt eine echte Renaissance", berichtet Jäggi. "Bis vor wenigen Jahren wurden die Gipsverzierungen oft entfernt oder übermalt, heute werden große Summen in ihre Restaurierung investiert. Selbst Neubauten werden damit ausgestattet – das kann sehr spannend aussehen, wenn der Mix stimmt."

 

Für mich ist es wichtig, dass ein Raum stilsicher gestaltet ist.

Frank Jäggi, Gründer und Geschäftsführer

 

Frank Jäggi hat auf das richtige Pferd gesetzt, auch weil die Konkurrenz klein ist. In der Schweiz gibt es nur eine Handvoll weiterer Stuckateurbetriebe. Eine komfortable Situation, die er sich allerdings hart erarbeiten musste. "Stuckateur ist in der Schweiz kein Ausbildungsberuf. Als Gipser lernt man nur die Grundlagen, den Rest muss man sich selbst beibringen. Bei jedem neuen Projekt sind die Anforderungen anders, man lernt nie aus."

Mit welchem Engagement er dabei ans Werk geht, erlebt man bei einer zweistündigen Tour durch sein Atelier, die einer Stuckateur-Ausbildung im Schnelldurchlauf gleicht. Begeistert demonstriert er, wie einfache Ornamente gegossen werden, was man bei komplizierteren beachten muss, wie er Zugschablonen herstellt oder mittels eingearbeiteter Wolldecken Silikon für die Gussform spart.

Jäggi scheint für jedes Problem eine Lösung zu haben. Und ist das einmal nicht auf Anhieb der Fall, tüftelt er tage- und nächtelang, bis schließlich das richtige Material, die richtige Arbeitsmethode gefunden ist. Früher alleine, heute zusammen mit seinen Mitarbeitern, die ebenso viel Spaß am Job haben wie ihr Chef. "Mir ist ganz wichtig, dass das Know-how im Betrieb nicht nur bei mir vorhanden ist – meine Leute erledigen ja heute den Großteil der handwerklichen Arbeit."

 

Es fasziniert mich, dass man mit einfachen Mitteln so etwas Wunderschönes herstellen kann.

Frank Jäggi, Gründer und Geschäftsführer

 

Mit Leidenschaft Träume verwirklichen

Seit der Betrieb so groß geworden ist, konzentriert sich Jäggi auf Verwaltungstätigkeiten, er akquiriert Aufträge, schreibt Angebote, berät. Es war eine Vernunftentscheidung: "Der Abschied vom Handwerklichen ist mir extrem schwergefallen, aber jetzt arbeite ich mit der gleichen Leidenschaft als Geschäftsführer. Ich bin ja noch immer an der Entstehung all der schönen Dinge beteiligt und freue mich, wenn ich meine Kunden glücklich machen kann."

Was auch immer Frank Jäggi tut, er tut es mit einer Extraportion Energie. "Ich verlasse gerne meine Komfortzone", sagt er, "ich liebe Herausforderungen!" Und er gehört zu den wenigen Menschen, denen man diesen Satz uneingeschränkt glaubt. Erst recht mit Blick auf seine liebste Freizeitbeschäftigung: Wenn der Gipsermeister nicht gerade sein eigenes Haus mit neuen Stuckelementen verziert oder auf Städtereisen historische Baudenkmäler besichtigt, betreibt er Sportarten, bei denen er im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen verliert: Speedflying, eine Art rasantes Paragliding, und Fallschirmspringen. Als Mitglied des Schweizer Nationalteams nahm er bereits an den Weltmeisterschaften im Formationsspringen und Wettkämpfen auf der ganzen Welt teil.

Dabei hat er auch seine Frau Simona, 46, kennengelernt. Mittlerweile haben die beiden eine Tochter, 8, und einen Sohn, 6, und versuchen, ihr Hobby mit der Familie in Einklang zu bringen. Bei Ausflügen in die Berge nimmt sich Jäggi ab und an eine kleine Auszeit, schnallt sich den Gleitschirm auf den Rücken, im Winter auch Ski an die Füße, und stürzt sich in waghalsigen Manövern einsame Abhänge hinab.

Zuschauern gefriert da leicht das Blut in den Adern, Jäggi macht es einfach nur glücklich. Auf der Website von "Stukkdesign" steht der auf Renovierungen gemünzte Satz: "Träume nicht nur träumen, sondern sie verwirklichen" – Frank Jäggis Lebensmotto.

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Frank Jäggi zeigt, wie mithilfe einer Silikonform komplizierte Stuckelemente gegossen werden

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