Fotos: istock, Shutterstock (Alhivik, Vector Pot, Zach Nelson)
Dieser Artikel erschien in der MarktImpulse 3/19
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Sie streichen bei Zeitdruck nahezu in Lichtgeschwindigkeit, verwenden Hightechwaffen und stemmen ihre Ausrüstung mit purer Muskelkraft. Maler entwickeln echte Superkräfte, um auf der Baustelle das Unmögliche möglich zu machen.
Okay. Wir geben es zu. Menschen mit Comic-Helden wie Batman, Wonder Woman, Flash und Hulk in einen direkten Zusammenhang zu bringen, mag auf den ersten Blick ein klein wenig übertrieben erscheinen. Schließlich haben diese Figuren übermenschliche Fähigkeiten, eine übertrieben ansehnliche Gestalt, nahezu ausschließlich edle Charakterzüge und sind zudem fast unverwundbar.
Kurz gesagt: Sie sind völlig überzeichnet. Da können – und wollen – wir nicht mithalten. Diese Typen sollen hier vielmehr als augenzwinkerndes Pendant für die wahren Helden der Baustelle dienen: die Maler.
Denn die stellen, etwa beim Neubau eines Mehrfamilienhauses, immer wieder echte Superkräfte unter Beweis. Bei Projekten dieser Größenordnung avancieren sie für die unter Druck stehenden Bauherren zu Rettern in buchstäblich letzter Sekunde, weil sie erst ins Spiel kommen, wenn die anderen Gewerke ihre Arbeit getan haben.
Dann liegt die Verantwortung bei ihnen: Sie räumen konsequent und methodisch auf, sie machen verlorene Zeit in Windeseile gut und sorgen mit ausgefeilten und innovativen Materialien und fundiertem Spezialwissen dafür, dass die zukünftigen Bewohner sich in ihren vier Wänden rundum wohlfühlen.
Wir finden: Allein dafür verdienen sie bereits den Status "Helden der Arbeit". Aber auch außerhalb ihres Berufsfeldes wachsen viele von ihnen weit über sich hinaus.
Gleichgültig ob Handwerker, Banker, Schulkind, Landwirt, Hausfrau oder Rentner: Wir alle können ganz plötzlich zu Helden werden. Wir wissen es nur noch nicht. Die Fähigkeiten dafür schlummern tief in unserem Inneren. Sie werden erst wachgerufen, wenn sie dringend gebraucht werden.
So wie bei einem Maler in Nordhausen (Thüringen), der spontan zum Superhelden wurde: Er sah auf dem Weg zur Arbeit Rauch aus einer Wohnung kommen, warf sich kurzerhand eine Decke über den Kopf, rannte in das brennende Haus, rettete ein einjähriges Mädchen aus seinem Laufgitter und trug es in seinen Armen ins Freie.
Oder wie zwei Gesellen aus Hamburg-Harburg, die eine Mutter und ihr Kind dank ihrer Arbeitsleiter aus einem ebenfalls brennenden Haus befreien konnten. Diese Helfer waren Helden in Bereitschaft, ohne es zu wissen. Was die drei eint: Sie hatten die Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen und heroisch zu handeln, weil bei ihnen die beiden entscheidenden Faktoren des Heldentums zusammen auftraten.
Erstens: Sie bekamen die – meist einmalige – Gelegenheit, überhaupt erst zum Helden zu werden, und zweitens: Sie ergriffen diese Chance beherzt.
Wie beim Fledermausmann basieren bei einem qualifizierten Maler Kraft und Überlegenheit auf hartem Training, Intelligenz und einer fundierten Ausbildung.
Was beide noch gemeinsam haben: Sie sind absolut schwindelfrei und tragen einen Gürtel mit allen nötigen Geheimwaffen.
Glücklicherweise braucht man keine komplizierte Gebrauchsanweisung, um etwas Heldenhaftes zu tun. Ähnliches kann jeder in unserer Gesellschaft leisten, da ist sich der Sozialpsychologe Philip Zimbardo sicher. Es braucht nur eine einzige Voraussetzung: Ein Mensch muss die Bereitschaft in sich tragen, für andere zu agieren. Nachdem der US-Wissenschaftler jahrzehntelang als Experte des Bösen galt, erforscht er nun seit einigen Jahren die Psychologie des Heldentums.
Bekannt wurde Zimbardo 1971 mit dem Stanford-Prison-Experiment, mit dem er anschaulich die Banalität des Bösen bewies: Er stellte eine Gefängnissituation nach und teilte 24 Studierende wahllos in Wärter und Gefangene ein. Innerhalb weniger Tage verwandelten sich die Wärter in Sadisten und quälten die unschuldigen "Insassen". Heute erforscht er am Greater Good Science Center der Universität Berkeley (USA) mit seinem Kollegen Zeno Franco die Banalität des Guten. Sein Ziel: Er will beweisen, dass nicht nur jeder Mensch ein potenzieller Bösewicht sein kann, sondern auch jeder von uns ein potenzieller Held ist.
Auch ohne die Eigenschaften eines Superman oder einer Wonder Woman. Wenn Zimbardo und Franco in ihren Vorträgen weltweit die übertriebenen Fähigkeiten von Comicfiguren beschreiben, torpedieren sie mit Freude das Zerrbild dieser überirdischen Helden. Der Ansatz der beiden Wissenschaftler ist simpel: Zum Helden wird niemand geboren, man wird auch nicht ausgebildet oder auserwählt – man wird es einfach. Das bedeutet Chancengleichheit für uns alle: für die Mutigen, Extrovertierten und Lauten genauso wie für die Leisen, Vorsichtigen und Schüchternen.
"Jetzt muss es aber wirklich schnell gehen", "Am liebsten bis gestern", "Morgen wollen wir einziehen" – Sätze wie diese schocken einen Maler nicht. Arbeiten wie im Zeitraffer?
Kein Problem. Er kann, wenn nötig, blitzschnell wie Flash über die Baustelle flitzen. Oft genug schafft ein Malerteam das Unmögliche in kürzester Zeit.
Zimbardos Überzeugung lautet so: Wenn wir Heldentum als Teil der menschlichen Natur betrachten und nicht als seltene Charaktereigenschaft einiger Auserwählter, dann können wir in jeder Gesellschaft heroisches Handeln begünstigen. Kommt dann dieser eine besondere Moment, in dem wir uns für jemanden oder etwas einsetzen können, stellt sich die alles entscheidende Frage: Handeln wir oder schauen wir weg?
Um Ersteres zu fördern, bringt Zimbardo schon den Kleinsten nahe, dass ein Held vor allem eines ist: auch nur ein Mensch. Ziel des Programms ist, vor allem Kindern dabei zu helfen, hilfsbereite und empathische Menschen zu werden.
Dafür hat er eigens ein Training entwickelt, das die heroische Vorstellungskraft in uns fördern soll: das "Heroic Imagination Project" (HIP). Es basiert auf Rollen- und Gedankenspielen – und simpler Wiederholung: Wer sich immer wieder im Geiste vorstellt, wie er in unterschiedlichsten Situationen heldenhaft reagieren könnte, programmiert laut Zimbardo sein Gehirn und wird mental besser auf diesen Augenblick vorbereitet.
Es muss nur einer den Anfang machen. Eine einzige Heldentat kann einen Dominoeffekt in unserer Gesellschaft erzeugen. Philip Zimbardos Programm ist das beste Beispiel für diesen Effekt: Mittlerweile gibt es Ableger in Polen, dem Iran, Italien und Deutschland, in Österreich startet es demnächst. Anderen zu helfen, ihnen beizustehen, färbt ab, das beweisen Zimbardos Studien: Eilen Menschen anderen bereitwillig zu Hilfe, ist ihnen in vielen Fällen selbst schon mindestens einmal in Not geholfen worden.
Sie war das radikale Gegenmodell zu der klassischen "Jungfrau-in-Nöten-Rolle", die in den 1940er-Jahren die Comicwelt beherrschte. Sie war die Erste, die nicht nur schön, sondern dabei auch selbstbewusst und robust war.
In fast jedem Malerbetrieb tummelt sich mittlerweile eine ihrer Art, eine Bereicherung. Denn sie ist stark genug, um Paroli zu bieten, und dabei so empathisch, dass sie auch mit schwierigeren Kunden entspannt umgeht.
Es gibt nur wenige, die nahezu ihr Leben lang Helden waren, etwa Gandhi und Mutter Teresa. Und die organisierten ihr komplettes Leben um das Heldentum herum. Wir anderen können zu Helden werden, indem wir entweder in einem besonderen Moment Heldenhaftes tun oder ein längeres Projekt wie ein Ehrenamt in unser Leben integrieren. Das passiert täglich und überall in Deutschland, viele Menschen tun Gutes. Viele jedoch, ohne darüber zu sprechen. Für Philip Zimbardos Vision ist eben diese Bescheidenheit ein Problem: Bleiben Taten verborgen, verpufft der Dominoeffekt des Guten. Helden dürfen und müssen gesehen werden.
Aus diesem Grund stellte die Universität Passau gemeinsam mit einer Lokalzeitung die Online-Datenbank* "Local heroes" ins Netz und gibt so Heldinnen und Helden des Alltags aus ganz Deutschland ein Gesicht. Auf der Plattform werden Menschen vorgestellt, die durch besonderes Engagement oder Rettungsaktionen aufgefallen sind. Alle Daten werden für Bildungsprojekte zur Verfügung gestellt.
So sollen Kinder, Jugendliche und Lehrpersonal motiviert werden, sich auf die Suche nach lokalen Helden in der eigenen Umgebung zu machen. Die Idee zündete: Die Datenbank wächst rasant, täglich kommen neue Geschichten hinzu. Wer braucht da schon Batman und Hulk? Wir haben unsere eigenen, echten Superhelden.
Stärke und Durchsetzungsvermögen – diese Eigenschaften des grünen Muskelprotzes teilen Maler. Denn neben einem scharfen Sachverstand und feinstem Fingerspitzengefühl benötigen Maler oft genug ausdauernde Muskelkraft auf der Baustelle.
Stundenlanges Marmorieren, Tapezieren oder Deckestreichen ist eben nichts für Schlappos. Nur, dass kein Maler bei all dem Kraftaufwand so furchterregend anmutet wie Hulk.