Fotos: Daniel Elke
Dieser Artikel erschien in der MarktImpulse 3/21
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Stephan Raddatz startete einst wie Bill Gates: ohne Startkapital und zu zweit in einer Garage. Mittlerweile führt der Malermeister einen Betrieb, der vom Küchenanstrich bis zu Komplettarbeiten alles anbietet. Dabei greift der Chef gerne selbst zum Pinsel.
Vanessa Becher streicht gerade die Fassade des Hotels "Derichsweiler Hof", als ein Mann sich dem Gerüst nähert. Die 26-Jährige stutzt einen Moment, dann erkennt sie den Baustellenbesucher. "Ach, du bist es", stellt die Maler- und Lackierergesellin fest. "Es ist so ungewohnt, dich in solchen Klamotten zu sehen."
Vor Vanessa Becher steht ihr Chef Stephan Raddatz. Er hat einen Termin mit Thorsten Derichsweiler, dem Inhaber des Vier-Sterne-Hotels. Und zur Besprechung trägt Raddatz ausnahmsweise Jeans und Hemd. "Eigentlich kennen mich meine Kollegen nur im Maleroutfit", sagt der 48-Jährige lachend.
Der Malermeister führt einen Betrieb im oberbergischen Nümbrecht, rund 45 Autominuten von Köln entfernt. Bei den Kunden deckt er eine große Bandbreite ab – vom Küchenanstrich im Nachbarort Waldbröl bis hin zu Arbeiten in einem Gebäudekomplex mit 500 Wohnungen in Bonn. Für Kliniken, Schulen, Industriehallen und Hotels schnürt das Unternehmen Rundumpakete, die Wärmedämmung, Bodenverlegung und Spachtelarbeiten beinhalten.
Die Auftragslage stimmt. Stephan Raddatz könnte sich auf die Büroarbeit konzentrieren. Doch das kommt für ihn nicht infrage. Er tunkt lieber den Pinsel in die Farbe, als die Tasten des Computers zu drücken. "Dafür bin ich einfach zu gerne auf der Baustelle", erklärt Stephan Raddatz.
Für ihn ist das Malerhandwerk eine Leidenschaft. Eine, die sich mit ein bisschen Verspätung entwickelte: Ursprünglich wollte der jugendliche Stephan Raddatz eine Lehre zum Schreiner machen, doch es gab keine Ausbildungsplätze in der Region. Im Rückblick war es für ihn glückliche Fügung, dass seine Mutter Ingelore Samorski ihn deshalb drängte, sich nach einer Alternative umzusehen.
Er fand sie 1989 bei Malermeister Dieter Adolphs im Örtchen Niederbreitenbach. "Der war ein Könner seines Fachs", beschreibt Stephan Raddatz seinen ehemaligen Chef. Maler zu werden war offenbar die richtige Entscheidung: Aufgrund seiner guten Leistungen verkürzte er seine Ausbildungszeit und wurde nach zweieinhalb Jahren Geselle.
Eigentlich kennen mich meine Kollegen nur im Maleroutfit.
Stephan Raddatz, Firmeninhaber
Mit nur 21 Jahren besuchte Stephan Raddatz bereits die Meisterschule in Köln. Der zweitjüngste Meisteranwärter war volle sieben Jahre älter. Den Mangel an Erfahrung glich Stephan Raddatz durch Ehrgeiz und Engagement aus – mit 23 Jahren rahmte er sich den Meisterbrief ein. Mit ihm endete auch seine Zeit bei Dieter Adolphs und somit auch sein Dasein als Angestellter: Stephan Raddatz gründete, zusammen mit seiner Frau Nicole, seinen eigenen Betrieb.
Er kaufte sich einen alten VW-Bus und fuhr damit die Baustellen an. "Der erste Firmensitz war eine Garage", erinnert sich Stephan Raddatz und schiebt lachend hinterher: "Ich habe es also wie Bill Gates gemacht." Im Gegensatz zum Microsoft-Gründer verlief Stephan Raddatz' Start in die Selbstständigkeit ein wenig holpriger. Es mangelte zwar nicht an Aufträgen, dafür aber an der Zahlungsmoral der Kunden. "Ich habe mich damals auch über den Tisch ziehen lassen", gibt Stephan Raddatz zu.
Das junge Ehepaar hatte gerade in Nümbrecht ein Haus gebaut. Die finanziellen Sorgen ließen den Malermeister häufig schlecht schlafen. Schließlich bot ihm der Onkel seiner Frau Hilfe an. Dieser führt in Köln erfolgreich einen Stuckateur-Meisterbetrieb. "Er hat uns mehr oder weniger gerettet", erklärt Stephan Raddatz.
Von ihm bekam der frischgebackene Gründer aber keine Finanzspritze; der erfahrene Geschäftsmann gab ihm vielmehr strenge Nachhilfe in Sachen Geschäftssinn. Vor allem machte er ihm klar, wie wichtig es ist, bei Zahlungsverzügen härter durchzugreifen. Stephan Raddatz nahm sich die Ratschläge des Onkels zu Herzen – und sein kleiner Betrieb begann zu wachsen.
Doch dann ist mir bewusst geworden, dass Maler und Lackierer der richtige Beruf für mich ist.
Niklas Raddatz, Vorarbeiter und Juniorchef
"Ich wollte mich ja eigentlich nur auf Privatkunden beschränken", beschreibt Stephan Raddatz seine anfänglich bescheidene Geschäftsidee. "Zwei, drei Mitarbeiter hätten mir im Grunde gereicht." Doch weil immer mehr Wohnungsbaugesellschaften und Architekten auf das Unternehmerehepaar zukamen, begann der Gründer größer zu denken. Er baute im Nachbarort Ruppichteroth eine Lagerhalle und stellte neue Leute ein. 16 Mitarbeiter/-innen beschäftigt Stephan Raddatz mittlerweile. Ehefrau Nicole Raddatz, 48, kümmert sich derweil um die Buchhaltung und die Organisation.
Zum Team gehört auch der älteste Sohn des Ehepaars. Bei ihm kam die Berufsfindung ebenfalls über Umwege: Niklas Raddatz überlegte während seiner Schulzeit, Koch oder Landschaftsgärtner zu werden. Um Klarheit zu finden, machte er in beiden Bereichen ein Praktikum. "Doch dann ist mir bewusst geworden, dass Maler und Lackierer der richtige Beruf für mich ist", erinnert sich der 21-Jährige. Seine Ausbildung machte er im Familienbetrieb, mittlerweile ist er Vorarbeiter, im kommenden Jahr soll es auf die Meisterschule gehen.
Der Job des jüngsten Sohns bleibt ebenfalls in der Familie, aber diesmal mütterlicherseits: Der 18-jährige Tim entschied sich für eine Ausbildung zum Stuckateur. Er arbeitet derzeit in einem Betrieb in Hennef. "Meine Frau stammt ja aus einer Stuckateursfamilie“, erklärt Stephan Raddatz. "Da war es naheliegend, dass ein Sohn diesen Weg einschlägt." Er schließt aber nicht aus, dass auch sein Zweiter irgendwann in Nümbrecht arbeitet. Sein eigener Betrieb verputzt auch Wände und hängt Decken ab – einen weiteren Fachmann auf diesem Gebiet kann Stephan Raddatz jederzeit gebrauchen.
Er hat mich direkt für den nächsten Tag zum Vorstellungsgespräch eingeladen und mir einen Job angeboten.
Alexej Warkentin, Vorarbeiter
Die Nachfolge im Unternehmen ist somit vorgezeichnet – der Betrieb bleibt auch zukünftig in den Händen von mindestens einem Raddatz. Der einzige Unterschied zum Werdegang des Vaters: Niklas und Tim müssen ihre Selbstständigkeit nicht in einer Garage beginnen, sondern können das in einem gut ausgestatteten Firmengebäude tun, das noch Kapazitäten für "mehr" hat.
Wenn es irgendwann soweit ist, werden die Brüder auf Leute treffen, die sie seit frühester Kindheit kennen. Denn ihr Vater setzt auf langfristige Zusammenarbeit. Das kann Geselle Alexej Warkentin nur bestätigen. 2006 vermittelte ihm das Arbeitsamt einen Kontakt zu Stephan Raddatz. Dann ging alles ganz schnell: "Wir haben telefoniert, er hat mich direkt für den nächsten Tag zum Vorstellungsgespräch eingeladen und mir einen Job angeboten", berichtet der 44-Jährige.
Alexej Warkentin ist mittlerweile Vorarbeiter und verantwortet eigene Projekte. "Ich habe in den fünfzehn Jahren schon so viele Aufträge gehabt, an die ich mich gerne zurückerinnere", schildert er. Dabei denkt er zum Beispiel an die Klinkerhöfe in Hürth. Das Quartier ist in den vergangenen Jahren vor den Toren Kölns entstanden. Die Malerarbeiten übernahm der Betrieb aus Nümbrecht.
Chef Stephan Raddatz legt Wert darauf, trotz der ganzen Großprojekte nicht die Privatkunden aus den Augen zu verlieren. "Wir nehmen uns gerne Zeit für die Leute, bei denen nur eine Tür zu streichen ist", betont er. Aufträge dieser kleinen, feinen Art übernimmt Raddatz gern selbst. Dann fällt das Schreiben von Angeboten in die Abendstunden.
Wolfgang hat mir damals viel beigebracht, was für den Malerberuf wichtig ist.
Stephan Raddatz über Wolfgang Mockenhaupt
Als Betriebsinhaber ist Stephan Raddatz Handwerker und Kaufmann in einer Person. Doch er achtet darauf, dass seine Hobbys nicht zu kurz kommen. Wenn es die Zeit zulässt, fährt die ganze Familie nach Rügen und schippert mit dem Segelboot "Fritzchen" über die Ostsee. Stephan Raddatz' weitere Leidenschaft gilt dem Kampfsport: Er ist Trainer im Budo-Club Waldbröl. Und auch im Taekwondo ist der 48-Jährige ein Meister: Er trägt den Schwarzgurt des 1. Dan.
In der südkoreanischen Kampfkunst namens TeukGong Moosool hat Stephan Raddatz ebenfalls diesen Grad erreicht. "Das ist ein super Ausgleich zur Arbeit", findet der Unternehmer. So wirkt Stephan Raddatz dann auch im Job tiefenentspannt, was beim Treffen mit Hotelbesitzer Thorsten Derichsweiler spürbar ist.
Nachdem er mit ihm die bevorstehenden Arbeitsschritte für den Auftrag beim Hotel besprochen hat, nimmt sich der Meister noch die Zeit, mit seinen Leuten zu quatschen. Neben Vanessa Becher stehen auch Claudia Hassel, 45, und Wolfgang Mockenhaupt, 62, auf dem Gerüst. Die beiden lernten ihr Handwerk einst, genau wie ihr Chef, im Betrieb von Dieter Adolphs.
Wolfgang Mockenhaupt war damals Stephan Raddatz' Ausbilder. Dass er heute in der Firma seines Ex-Azubis arbeitet, spricht für den Teamgeist im Betrieb. Stephan Raddatz erinnert sich gern an diese Zeit zurück: "Wolfgang hat mir damals viel beigebracht, was für den Malerberuf wichtig ist." Dann verabschiedet er sich. Auf dem Weg zum Auto kündigt der Chef noch an, morgen wieder in Malermontur zur Arbeit zu erscheinen. "Dann kann ich endlich wieder anpacken."
Stephan Raddatz machte sich am 1. April 1997 im Alter von 23 Jahren selbstständig. Anfangs bildeten nur er und Ehefrau Nicole den Betrieb. Ab 2003 vergrößerte Raddatz seine Firma und baute in Ruppichteroth eine Lagerhalle. 16 Mitarbeiter/ -innen umfasst das Team aktuell, darunter ein Auszubildender. Sein Sohn Niklas Raddatz begann am 1. August 2016 im Unternehmen seines Vaters. Ab 2022 plant er den Besuch der Meisterschule. Der jüngere Sohn Tim begann am 1. August 2019 eine Ausbildung als Stuckateur.