Nach oben scrollen
Brillux Radio

Mehr als Dekoration

Dieser Artikel erschien in der Colore 18 himbeerrot.

Bestellen Sie die Printausgabe per E-Mail an: kontakt@brillux.de

Titelbild: "Schmuck", inges idee; Fotograf: Peter Stumpf

Kunst und Architektur – im Idealfall ergänzen sie sich gegenseitig, werten einander auf, vermitteln ungewohnte Perspektiven auf die jeweils andere Disziplin. Doch was ist "Kunst am Bau" eigentlich genau, wie ist das Konzept entstanden und wofür? Eine kleine Zeitreise.

Seit jeher scheint es Menschen ein Bedürfnis zu sein, ihre Wohnstätten mit Kunst dekorativ aufzuwerten. Die Anfänge des Zusammenspiels von Kunst und Architektur lassen sich bereits bei Höhlenmalereien verorten, ziehen sich über die Antike bis hin zu den prachtvollen Kunstwerken in Schlössern und Kirchen. Um Kunst als Kulturgut zu fördern, wurde "Kunst am Bau" erstmals in der Verfassung der Weimarer Republik von 1919 zur staatlichen Aufgabe: Bei staatlichen Neubauten, so lautete die Empfehlung, sollten Künstler einbezogen werden.

 

Dass Kunst am Bau mehr sein sollte, als bloße Gebäudedekoration, versteht sich von selbst. Im Idealfall korrespondieren Kunst und Architektur miteinander, setzen einander in Bezug. Staatliche Kunst am Bau-Projekte werden über Wettbewerbe des Bundes ausgeschrieben. Als Kriterien für die Auswahl gelten unter anderem die Eigenständigkeit des künstlerischen Beitrags, Qualität und Aussagekraft. Ein Sachverständigenrat entscheidet schließlich darüber, welche Projekte realisiert werden.

Heute werden bei großen Bauvorhaben etwa 0,5 Prozent, bei kleineren bis zu 1,5 Prozent der Bausumme für Kunst eingesetzt. Zuständig ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Die Verfahrensregeln sind in den Richtlinien zur Durchführung von Bauaufgaben des Bundes (RBBAU) beschrieben und weitergeführt durch den "Leitfaden Kunst am Bau", der 2005 entwickelt und 2012 aktualisiert wurde.

Dazu kommen kommunale Projekte und Bauvorhaben der Länder. Da Kunst am Bau eine Empfehlung und keine Verordnung darstellt, wird diese Disziplin in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich stark forciert.

Bild: "Schmuck", inges idee; Fotograf: Peter Stumpf

 
  • <p><i>Foto: </i>Auf geht's!<i>, inges idee</i></p>

    Foto: Auf geht's!, inges idee

  • <p><i>Foto: </i>Auf geht's!<i>, inges idee</i></p>

    Foto: Auf geht's!, inges idee

  • <p><i>Foto: </i>Auf geht's!<i>, inges idee</i></p>

    Foto: Auf geht's!, inges idee

Unter den Nationalsozialisten wurde Kunst, nicht nur am Bau, sukzessive ideologisch instrumentalisiert. Nach den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs lagen weite Teile Deutschlands in Trümmern. In diesen Zeiten existenzieller Not ist der Beschluss, den der erste deutsche Bundestag 1950 erließ, umso bedeutender: Kunst am Bau wurde wieder zur staatlichen Aufgabe erklärt.

Empfohlen wurde, mindestens ein Prozent der Bausumme bei allen Bundesbauten für Kunst einzusetzen. Nach den zerstörerischen Kriegserfahrungen diente Kunst im öffentlichen Raum auch als ästhetisches Element, das Schönheit inmitten der Verwüstung repräsentierte. Wenig verwunderlich, dass Kunst am Bau in den 1950er-Jahren vorwiegend dekorativen Zwecken diente.

Die 1960er-Jahre hingegen waren geprägt von einem neuen architektonischen Selbstverständnis, das im sogenannten Modernen Bauen Ausdruck fand. Funktional und nüchtern, lauteten die Maximen der Architektur, die Kunst hingegen wurde kritischer, individueller.

Zu Beginn der 1990er-Jahre erlebte das Zusammenspiel von Kunst und Architektur mit der deutschen Wiedervereinigung einen Höhepunkt: In der neuen Hauptstadt Berlin waren zahlreiche neue Bundesbauten erforderlich, zugleich mussten bestehende, ideologisch belegte Gebäude neu interpretiert werden – durch Kunst.

Auch im privaten Sektor ist Kunst am Bau heute vielfältig repräsentiert: Banken, Versicherungen oder Krankenhäuser werten ihre Immobilien künstlerisch auf und unterstreichen damit ihre Unternehmenskultur.

 

Kunst am Bau hinterfragt unsere gewohnten Sehweisen auf die Welt.

Hans Hemmert; Bild: Künstlerkollektiv "inges idee" aus Berlin: Axel Lieber, Hans Hemmert, Thomas A. Schmidt, Georg Zey (v.l.); Fotograf: Stefan Pielow

 

inges idee: Ein Beitrag zur öffentlichen Diskussion

inges idee ist ein Künstlerkollektiv aus Berlin, das seit 1992 Kunst im öffentlichen Raum realisiert. Bestehend aus Hans Hemmert, Axel Lieber, Thomas A. Schmidt und Georg Zey, die auch einzeln künstlerisch aktiv sind, erarbeitet die Gruppe auffällige, meist farbenfrohe und oft augenzwinkernde Kontrapunkte im öffentlichen Raum. "Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum überrascht uns im städtischen Kontext und hinterfragt unsere gewohnten Sehweisen auf die Welt", erklärt Hans Hemmert.

Beispielhaft dafür ist das Projekt "Schmuck" in Düsseldorf: Die in die Jahre gekommene Lochfassade des Parkhauses am Karlsplatz wurde durch die Künstlergruppe mit zehn überdimensionalen Schmuckstücken versehen, die kunstvoll in die Fassade eingefädelt wurden. "In diesem Sinne ist Kunst am Bau wichtig, denn sie kann die nötigen öffentlichen Diskussionen in unserer Gesellschaft beflügeln", so Hemmert.

  • <p><i>Bild: </i>"Schmuck", inges idee<i>; Fotograf: Peter Stumpf</i></p>

    Bild: "Schmuck", inges idee; Fotograf: Peter Stumpf

  • <p><i>Bild: </i>"Schmuck", inges idee<i>; Fotograf: Peter Stumpf</i></p>

    Bild: "Schmuck", inges idee; Fotograf: Peter Stumpf

 

Kunst ist im Idealfall in die Architektur eingebettet.

Elisabeth Brockmann; GLÜCK, 12-teilige Leuchtinstallation in Friedberg/Augsburg (Detail), Fotograf: Alexander Vejnovic

 

Elisabeth Brockmann: Art in Architecture

"Die Amerikaner bezeichnen Kunst am Bau besser als 'Art in Architecture' sagt die Düsseldorfer Künstlerin und Gerhard-Richter-Schülerin Elisabeth Brockmann. "Das ist insofern passender, da Kunst im Idealfall in die Architektur eingebettet ist, sodass das eine das andere befeuert."

Diese "Einbettung" realisierte Brockmann wortwörtlich am berühmten Albertinum in Dresden: Sechs Porträts der Gemäldesammlung wurden als leuchtende Motive von außen im Baukörper "versenkt" und lassen das Gebäude strahlen, ohne es direkt anzuleuchten.

Noch immer stoße man auf das Argument, Kunst am Bau sei Verschwendung öffentlicher Gelder, so Brockmann. "Auch wenn es bei einigen Projekten anfangs Gegenwind gibt, gehört die Kunst bei mir mit der Zeit oft zum Gesamtbild der Architektur – wenn es gut wird."

Und wenn nicht? "Die Auftraggeber machen manchmal Vorgaben hinsichtlich dessen, was man thematisieren soll", erklärt die Künstlerin. "Dadurch wird die Kunst zum Schluss so etwas wie eine 'Salatbeilage'. Wenn man in der Kunst eine Aufgabe zu erfüllen versucht, wird es oft ungelenk, und das darf Kunst am Bau auf keinen Fall sein."

 

Die Palmen sind ein Zitat, eine Anspielung auf das Thema Tarnung im Geheimdienst und die Exotik anderer Länder.

Ulrich Brüschke

 

Ulrich Brüschke: Die Auseinandersetzung mit der Architektur

Der in Nürnberg ansässige Künstler Ulrich Brüschke installierte 2012 mit "0° Breite (Modified Cellular Towers)" an der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin zwei mehr als 20 Meter hohe künstliche Palmen als Anspielung auf die in tropischen Ländern häufig als Palmen getarnten Mobilfunkmasten.

Die großen Skulpturen sorgten in Berlin für Gesprächsstoff und förderten gar Gerüchte zu Tage, die Palmen seien mit Abhörtechnik ausgerüstet. "Die Palmen sind ein Zitat, eine Anspielung auf das Thema Tarnung im Geheimdienst und die Exotik anderer Länder", sagt Ulrich Brüschke.

Selbstredend befinden sich in den Berliner Palmen keine Abhöranlagen. "Die BND-eigenen Sender und Empfangsanlagen befinden sich auf dem Dach", lacht Brüschke. "Und die kann man auch sehen." Der Künstler arbeitet seit 1999 im Bereich Kunst am Bau und findet, dass sich die Qualität der künstlerischen Arbeiten stark verbessert hat.

"Es gab Jahrzehnte, in denen Kunst einfach 'abgeladen' wurde und mit dem Gebäude oft sehr wenig zu tun hatte. Das geht heute nicht mehr. Ob kontrovers oder aufs Gebäude bezogen", resümiert der Künstler, "beides ist eine Reaktion, die sich bewusst mit der Architektur auseinandersetzt."

Bauwerke mit Wow-Effekt

Bauwerke mit Wow-Effekt

Was haben eine Kristallpyramide, ein kantiger Meteorit und eine gigantische Welle gemeinsam? Sie alle gelten als Gebäude, die Zeichen gesetzt haben. 

..mehr