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Im Handwerk zu Hause: Traditionsbetrieb Theodor Schulz

Dieser Artikel erschien in der MarktImpulse 3/20

Fotos: Conny Trumann, Alamy Stock (Kuttig-Travel)

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Als die Zukunft des Traditionsbetriebs Theodor Schulz unsicher war, entschloss sich Wirtschaftsingenieur Harald Alps, vorübergehend zu übernehmen. Heute ist der Seitenwechsler bei sich und im Team angekommen.

Im Frühjahr 2009 arbeitet Harald Alps als Dozent für Statistik an der Hochschule in Lüneburg. Der damals 36-Jährige schreibt an seiner Doktorarbeit über die Dynamik von Unternehmensnetzwerken. Zwar hatte Alps als Kaufmann und Ingenieur bereits praktische Erfahrungen in der Industrie sammeln können, dass er sich jedoch beruflich künftig eher wissenschaftlich mit Unternehmen beschäftigen wird, erscheint zu diesem Zeitpunkt klar. Als er sich zwei Jahre später schließlich offiziell Doktor nennen darf, befasst sich Alps aber schon längst nicht mehr mit den theoretischen Aspekten von Unternehmensnetzwerken. Noch während er an der Theorie saß, ist der Dozent mitten in der Praxis angekommen und als Geschäftsführer nun selbst für einen Betrieb verantwortlich: für den Malereibetrieb Theodor Schulz in Lüneburg.

 

Ich habe es als meine Aufgabe begriffen, diesen historischen Betrieb weiter auszubauen.

Harald Alps, Geschäftsführer

 

Drei Umzüge in 157 Jahren

Heute sitzt Harald Alps in den selbst gestalteten hellen, weiträumigen Büroräumen im Galeriegeschoss eines zweistöckigen weißgrauen Neubaus am Rande der norddeutschen Hansestadt Lüneburg. 2015 ist der Betrieb in das neue Firmengebäude mit 410 Quadratmeter Fläche umgezogen. Es ist bereits der dritte Firmensitz des Traditionsunternehmens, der Gründungsort des Malereibetriebs liegt weniger als sechs Kilometer vom jetzigen Zuhause entfernt. Vor 157 Jahren eröffnete in der engen gepflasterten Katzenstraße, heute eine Fußgängerzone, der Maler Heinrich Schulz sein Geschäft. Sein Sohn wurde später Namensgeber des Betriebs. Als Schulz' Erbe, der den Betrieb übernehmen sollte, im Ersten Weltkrieg starb, übernahm ein Mitarbeiter die Nachfolge. 157 Jahre, zwei Weltkriege und viele Veränderungen – auch im Berufsbild des Malers – später existiert die Firma Theodor Schulz, die inmitten der historischen Lüneburger Altstadt ihren Anfang nahm, noch immer.

  • <p>Ein Team, das sich perfekt ergänzt: Geschäftsführer Harald Alps (links) und Betriebsleiter Benjamin Wagner</p>

    Ein Team, das sich perfekt ergänzt: Geschäftsführer Harald Alps (links) und Betriebsleiter Benjamin Wagner

  • <p>Nach der Baustelle ist vor der Baustelle: Malergeselle Patrick Weigand bereitet den Firmenwagen für den nächsten Einsatz vor</p>

    Nach der Baustelle ist vor der Baustelle: Malergeselle Patrick Weigand bereitet den Firmenwagen für den nächsten Einsatz…

  • <p>Traditionsunternehmen mit Charakter: An den alten Holzstehleitern lässt sich die lange Firmenhistorie des Betriebs erkennen</p>

    Traditionsunternehmen mit Charakter: An den alten Holzstehleitern lässt sich die lange Firmenhistorie des Betriebs…

  • <p>Auf die Ausgestaltung des bunten Sandsteinportals der Lüneburger Raths-Apotheke ist Geschäftsführer Harald Alps besonders stolz</p>

    Auf die Ausgestaltung des bunten Sandsteinportals der Lüneburger Raths-Apotheke ist Geschäftsführer Harald Alps…

  • <p>Den Stolz auf eine getane Arbeit kann man über die gemeinsame WhatsApp-Gruppe mit den Kollegen teilen</p>

    Den Stolz auf eine getane Arbeit kann man über die gemeinsame WhatsApp-Gruppe mit den Kollegen teilen

Gelungenes Regiedebüt

Vor allem die langjährige Firmenhistorie und die Menge an Energie und Lebensleistungen, die in die Theodor Schulz GmbH & Co. KG geflossen sind, waren die Hauptbeweggründe, die Harald Alps davon überzeugten, den Betrieb 2009 kommissarisch zu übernehmen. Als der damalige Chef Horst- Friedrich Zielasko plötzlich starb, erbte Alps Ehefrau Sylvia, eine diplomierte Augenoptikerin und Verwandte Zielaskos im Rahmen der Erbnachfolge den Betrieb.

Doch Sylvia Alps, die ein eigenes Augenoptikgeschäft in Bleckede führt, war zu dieser Zeit als Dozentin für Augenoptik tätig. Die Zukunft des Malerbetriebs war zunächst unklar: "Es ging um viele Arbeitsplätze und die Sorge, wie es weitergehen sollte, war groß. Da war ich bereit, Regie zu führen. Ich habe es als meine Aufgabe begriffen, diesen historischen Betrieb nicht nur zu erhalten, sondern auch weiter auszubauen und fit für die Zukunft zu machen", sagt Alps.

Doch welche Auswirkungen hat es für einen Betrieb, wenn der Chef das ausführende Handwerk nicht gelernt hat? Im Falle der Theodor Schulz GmbH kann man diese Frage leicht beantworten: Es bereichert. Dass dem so ist, hat viel mit der Persönlichkeit von Harald Alps zu tun. Der 48-Jährige, der jünger wirkt, scheut sich nicht, anzuerkennen, dass seine 18 Mitarbeiter manche Dinge besser wissen als er: "Hier hat jeder seine Kernkompetenzen", sagt Alps. "Und wenn ich etwas nicht weiß, dann weiß es oft ein anderer aus dem Team."

Betriebsleiter nach Teamentscheid

Besonders wichtig für Alps ist – wegen seiner fehlenden Erfahrung im Malerhandwerk – das Zusammenspiel mit seinem Betriebsleiter Benjamin Wagner. Der 30-Jährige ist seit vier Jahren für das operative Geschäft der Firma verantwortlich. Wagner plant die Baustellen, inklusive des entsprechenden Materials und Personals, kalkuliert die Aufträge und ist der Erstkontakt für potenzielle Kunden.

 

Wenn ich etwas nicht weiß, dann weiß es oft ein anderer aus dem Team.

Harald Alps, Geschäftsführer

 

Als Alps ihm die Position des Betriebsleiters vorschlug, habe sich der Vater von drei Kindern zunächst gar nicht vorstellen können, nicht mehr auf die Baustellen zu fahren und selbst Hand anzulegen, erzählt er, selbst Sohn eines Malermeisters: "Ich bin schließlich mit Leib und Seele Handwerker. Aber ich habe gesagt, wenn die Mitarbeiter das möchten, dann mache ich das." Das Team wollte. Von Wagners Seitenwechsel profitieren alle: "Wir arbeiten hier als Team sehr auf Augenhöhe. Und wir bleiben konstruktiv, auch wenn mal Fehler passieren", erklärt der 30-Jährige, den es der Liebe wegen aus seinem Heimatdorf Boltenhagen an der mecklenburgvorpommerschen Ostseeküste ins zwei Stunden entfernte Lüneburg verschlagen hat. "Dadurch, dass ich beide Seiten kenne, kann ich vieles sehr gut nachvollziehen und weiß mittlerweile auch, warum manche Dinge nur kurzfristig geplant werden können."

  • <p>Zusammen schmeckt's besser: Die Mittagspause verbringen die Malergesellen Kristian Netzlaff, El-Hadi Adam Ali und Thorsten Ausmeier (v. l.) gemeinsam</p>

    Zusammen schmeckt's besser: Die Mittagspause verbringen die Malergesellen Kristian Netzlaff, El-Hadi Adam Ali und…

 

Es ist mir wichtig, dass die Mitarbeiter hier eine Heimat finden und sich einfach wohlfühlen.

Harald Alps, Geschäftsführer

 

Gemeinsam stärker

Und auch wenn es mal spontan und schnell gehen muss, findet Wagner eine Lösung. Etwa dann, wenn man erst während eines Termins auf der Baustelle erkennt, dass man das Brückengeländer am besten vom Boot aus streicht und die entsprechende Sicherheitskleidung noch spontan besorgen muss: Innerhalb weniger Stunden organisierte der Betriebsleiter Schwimmwesten über eBay Kleinanzeigen und holte sie auch direkt beim Verkäufer ab, sodass das Team das Holzgeländer über die Ilmenau, einen Nebenfluss der Elbe, nicht nur fristgerecht, sondern auch sicher fertigstellen konnte. Die Aufteilung zwischen dem aus der Theorie kommenden Ingenieur und Kaufmann Alps, der u. a. Personal und Marketing betreut, und dem Betriebsleiter, der als ehemaliger Geselle das Tagesgeschäft in- und auswendig kennt, funktioniert: "Wir ergänzen uns gut", sagt Alps. "Das greift ineinander und gibt uns die Möglichkeit, durch die Konzentration auf unsere Stärken die Arbeit sehr viel besser umzusetzen. Das macht uns sehr flexibel."

Die Stadt Lüneburg ist einer der Hauptkunden des Betriebs, der seine Aufträge aus dem nahen Umkreis akquiriert. Dadurch hat das Team der Theodor Schulz GmbH viel Einfluss auf die Gestaltung und das Gesicht Lüneburgs genommen und unter anderem die Polizeiinspektion, das Finanzamt und viele Schulen hier neugestaltet. "Wir sind hier verwurzelt und bekannt", sagt Alps. "Manche der Kunden kenne ich schon aus meiner Schulzeit auf der Wilhelm-Raabe-Schule in Lüneburg oder es sind die Kinder von früheren Lehrern." Auf die Renovierung des historischen Gebäudes seiner ehemaligen Schule sowie die Fassadenerneuerung des bunt bemalten Sandsteinportals der historischen Raths-Apotheke ist Geschäftsführer Alps besonders stolz. "Das ist eines der Highlights, an denen ich immer wieder gern vorbeigehe. Das ist schon etwas ganz Besonderes."

  • <p>Der 410 Quadratmeter große Neubau im Lübecker Gewerbegebiet ist seit fünf Jahren Firmensitz</p>

    Der 410 Quadratmeter große Neubau im Lübecker Gewerbegebiet ist seit fünf Jahren Firmensitz

 

Manche der Kunden kenne ich schon aus meiner Schulzeit ...

Harald Alps, Geschäftsführer

 

Endgültig sesshaft werden

Es sind die Verbundenheit zu dem Ort und die Mitarbeiter, die schlussendlich dazu führten, dass sich Alps entschied, aus der vorübergehenden Leitung des Betriebs für sich eine dauerhafte Lösung zu machen. "Es ist ein tolles Team und es macht mir einfach sehr viel Spaß, mit ihnen gemeinsam an der Zukunft zu arbeiten", sagt Alps. Er schätze es an seinem Job, dass er immer wieder Dinge dazulerne, sodass die Aufgabe abwechslungsreich und interessant bleibe, erzählt der Vater einer kleinen Tochter. "Ich bin eigentlich ein Typ, der alles am liebsten selber können möchte, aber ich habe gelernt, mir Rat zu holen und meinen Mitarbeitern zu vertrauen. Und auch sie vertrauen mir, wenn ich Änderungen anstoße."

  • <p>In der großen Werkhalle ist neben den Firmenautos Platz für Maler- und Lasierarbeiten</p>

    In der großen Werkhalle ist neben den Firmenautos Platz für Maler- und Lasierarbeiten

 

Wir arbeiten hier als Team auf Augenhöhe. Und wir bleiben konstruktiv, auch wenn mal Fehler passieren.

Benjamin Wagner, Betriebsleiter

 

Mixed-Team statt Alte-Herren-Mannschaft

Etwa jene Veränderung in Richtung Digitalisierung. Alps erste Amtshandlungen waren die Gestaltung einer Website und die Einführung einer neuen Unternehmenssoftware. Er habe seit jeher ein großes Interesse an technischen Neuerungen und das helfe ihm bei solch umfangreichen digitalen Projekten, so der 48-Jährige. Mittlerweile laufen Prozesse wie die Zeiterfassung, Kalkulation und Baustellenplanung nun überwiegend digital ab. Die Mitarbeiter loggen sich vor Ort online in ihre entsprechende Baustelle ein und können ihre Stunden mit dem Smartphone oder Tablet erfassen. Das spart Zeit und erleichtert Betriebsleiter Wagner die Nachkalkulation. Auch in der Corona-Krise läuft viel Kommunikation online ab: So besprechen sich die Mitarbeiter per Messenger und das dreiköpfige Büroteam arbeitet vom Home- Office aus.

Das funktioniert deswegen so reibungslos, weil der Mannschaft die Technik aus dem eigenen Alltag vertraut ist: Unter Alps Leitung hat sich die Altersstruktur von ehemals durchschnittlich 50 Jahren auf Ende 20 bis Anfang 30 verlagert. Bei den Neueinstellungen legt Alps Wert darauf, dass die Mischung stimmt, und hat deswegen nicht nur junge, sondern auch über 50-jährige Gesellen eingestellt. "Es ist mir wichtig, dass die Mitarbeiter hier eine Heimat finden und sich einfach wohlfühlen. Leute, die nur unter Druck und Beobachtung vom Chef arbeiten können, die passen bei uns nicht ins Team. Es braucht Jahre, um eine Mannschaft zu formen, die zur eigenen Philosophie passt."

Diese Mannschaft, so ein Geschäftsziel Alps, dürfte in den nächsten Jahren gerne noch ein paar mehr Mitspieler bekommen. Zudem würde er für Präsentationen und Vertrieb gerne noch einen Showroom schaffen. In diesem könnten dann auch ökologische Produkte präsentiert werden. Diese liegen dem Geschäftsführer, der künftig gerne einen Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit legen möchte, besonders am Herzen. Seinen Seitenwechsel in die Praxis hat der ehemalige Dozent für Statistik nicht bereut. "Man muss auch mal was anderes gesehen haben. Ich habe in meinem Leben unterschiedliche Welten kennenlernen dürfen und konnte dadurch auch viele neue Sichtweisen in den Betrieb mitbringen." Nach den Zeiten als Wissenschaftler und Wirtschaftsingenieur hat Harald Alps mit seiner Aufgabe als Chef des Traditionsbetriebs Theodor Schulz sein berufliches Zuhause gefunden.

 

Es braucht Jahre, um eine Mannschaft zu formen, die zur eigenen Philosophie passt.

Harald Alps, Geschäftsführer

 

  • <p>Auch die Reinigung der Utensilien gehört zum Handwerk: Malergeselle Patrick Weigand beim Säubern der Farbrollen</p>

    Auch die Reinigung der Utensilien gehört zum Handwerk: Malergeselle Patrick Weigand beim Säubern der Farbrollen

 

Malereibetrieb Theodor Schulz

1863 gründete Malermeister Heinrich Schulz seinen Malereibetrieb in Lüneburg. Sein Sohn Theodor Schulz übernahm das Geschäft. Nach den zwei Weltkriegen und dem Tod des Erben ging die Firma in Mitarbeiterhände über. 2009 übernahm Dipl.-Kaufmann Harald Alps die Geschäftsführung des Betriebs, der 18 Mitarbeiter umfasst. Einer der Hauptkunden ist neben privaten Aufträgen die Stadt Lüneburg.

Zur Website des Malereibetriebs

 
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