Fotos: Saurabh Suryan / Lokesh Dang
Dieser Artikel erschien in der colore #bonbonrosa
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Eine optische Täuschung? Ein surrealer Traum oder doch ein in rosa Farbe getunktes Zebra, das aufgescheucht und voller Flausen im Kopf durch die historischen Räume galoppiert und mit seinem schrillen Wiehern die Aufmerksamkeit auf sich zieht? Ja, es besteht kein Zweifel – so muss es wohl sein! Schon von Weitem ist es schier unmöglich, den Blick abzuwenden, denn das Gebäude der Feast India Company scheint zu hypnotisieren – dringt es doch mit seiner bonbonrosafarbenen Fassade direkt ins Bewusstsein, während die kontrastierenden schwarzen Streifen das Auge fesseln. Verantwortlich für diesen farbgewaltigen Entwurf ist das indische Architekturbüro Renesa Architecture Design Interiors Studio, das eines der ältesten Gebäude Kanpurs zu einer Restaurant-Location umgestaltete, die nicht nur den Geschmackssinn ihrer Besucher berührt.
Die Feast India Company ist eine räumliche Verschmelzung von Vergangenheit und Jugendstilglanz.
OBJEKT | STANDORT The Pink Zebra, Feast India Company, Kanpur/Uttar Pradesh
ARCHITEKT Renesa Architecture Design Interiors Studio, New Delhi/India
Sanchit Arora ist Studio Head Architect bei Renesa Architecture Design Interiors Studio. Er erwarb seinen Bachelorabschluss in Architektur an der Sushant School of Art & Architecture, Gurgaon, Indien.
Kanpur liegt am Westufer des heiligen Flusses Ganges, im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh, und gehörte bis 1947 zum britischen Kolonialreich. Einst galt die Metropole als bedeutende Industriestadt, als Motor des Fortschritts. Zahlreiche Fabriken unterschiedlichster Ausrichtung reihten sich hier aneinander – auch heute leben noch viele Menschen von der Lederproduktion. Trotzdem konnte Kanpur seit seiner Unabhängigkeit an diese erfolgreichen Zeiten nicht anknüpfen: Zu viele Probleme bremsen die Entwicklung, viele Fabriken stehen still, Touristen verirren sich kaum in die Stadt. Doch die Vergangenheit unter der Herrschaft des britischen Raj hat ihre Spuren hinterlassen – auch architektonische. Viele Gebäude aus der Kolonialzeit sind erhalten geblieben, auch wenn sie zum Teil ihren Charme bereits verloren haben oder nur notdürftig renoviert wurden.
Umso mehr überrascht und fasziniert die Umgestaltung von Renesa Architecture Design Interiors Studio, die dem alten Gebäude, das von der Straße zurückgesetzt hinter einer Mauer ein unbeachtetes Dasein fristete, neues Leben einhauchte. "Die Feast India Company ist eine Hommage an die ehemalige britische Kultur Kanpurs sowie eine räumliche Verschmelzung von Vergangenheit und Jugendstilglanz", sagt Sanchit Arora, Studio Head Architect von Renesa. Besonders die üppigen, im Kolonialstil gestalteten Säulen und Gesimse an der Fassade des Gebäudes zeugen von der Schönheit früherer Zeiten. Und auch der Name selbst ist ein eindeutiger Verweis auf die britische East India Company, die als Handelsgesellschaft bereits 1600 gegründet wurde.
Doch es ist ein ganz anderes Merkmal, das dem Gebäude seine ausdrucksstarke Wirkung verleiht – es ist die Farbe! Zart wie ein Schleier umhüllt der bonbonsüße Farbton das Gebäude, fließt in jede Vertiefung, legt sich auf jede Erhebung – alles wie aus einem Guss. "Wir haben uns für diese besondere Farbgebung entschieden, da Rosa eine sehr subtile und frische Farbe ist, die im Jahr 2016 sogar zur Pantone-Farbe des Jahres gewählt wurde. Unser Ziel war es, etwas Einzigartiges zu schaffen, das sich von den Gebäuden ringsherum deutlich abhebt." Gleichzeitig nahm Renesa auch bei der Farbauswahl erneut Bezug auf die Geschichte der Stadt, denn: "Rosa wurde in den indischen Städten zur Zeit des britischen Raj häufig für die Gestaltung öffentlicher Gebäude verwendet." Die Stadt Jaipur im indischen Bundesstaat Rajasthan wird umgangssprachlich sogar als "Pink City" bezeichnet, da die Gebäude in der Altstadt 1876 einen einheitlichen rosa Anstrich erhielten – Rosa gilt dort als Farbe der Gastlichkeit.
Die pudrige Monotonie wird jedoch schnell durchbrochen – von schwarzen und weißen Streifen, die von irgendwoher zu kommen scheinen, in verschiedene Richtungen führen, mal dorthin, mal hierhin, mal gemeinsam, mal allein, und den Eindruck erwecken, als würde ein Zebra, entsprungen aus einem Traum, vor einem rosa Hintergrund posieren.
"The Pink Zebra" wird das Gebäude daher auch liebevoll genannt – und das, obwohl die Streifen der Tiere doch eigentlich als Tarnung oder zum Verscheuchen unangenehmer Insekten dienen sollen, Wissenschaftler sind sich bezüglich der Sinnhaftigkeit der Zebrastreifen bis heute nicht einig. Schwarze, weiße, rosafarbene Streifen ziehen sich durch das gesamte Gebäude, ebenso wie helle Lichtstreifen, wenn die Sonne durch die Gitterelemente an Decken und Wänden scheint. "Als wir den ersten Entwurf für die Feast India Company entwickelten, haben wir versucht, mit den Elementen und den Konzepten des Kolonialstils herumzuspielen, und einiges ausprobiert. Doch wir bemerkten schnell, dass etwas fehlte – etwas, das in einer Stadt wie Kanpur noch nie zu sehen war. Es waren also die Streifen, die das Gebäude ins Hier und Jetzt beförderten, während der Geist der Vergangenheit überall spürbar ist", erzählt Sanchit Arora.
Nicht nur von außen fasziniert das Gebäude mit seiner hypnotischen Wirkung, auch im Innern nehmen die Streifen Fahrt auf, winden sich um Lampen, rasen über den Boden, durchlaufen Bilder und Türen und verwandeln sich in Schriftzüge, während die Farbe Rosa allgegenwärtig ist. Die Architekten agierten zudem äußerst ganzheitlich: Jedes Möbelstück wurde in einen Farbeimer getaucht und erzeugt als Relikt aus vergangenen Zeiten ein historisches Ambiente im modernen Kontext. Jeder Raum ist im rosa Streifenlook gestaltet – und das ohne Ausnahme. Selbst beim Treppauf und Treppab muss der Besucher jede Menge Zebrastreifen überqueren. Das bizarre Design beeinflusst die Wahrnehmung der Gäste, denn "The Pink Zebra ist eine komplexe Verschmelzung räumlicher Identitäten. Die Idee bestand darin, eine Architektur zu erschaffen, die verschiedene Stilrichtungen in sich birgt und den Besucher in eine künstlerisch geprägte Welt versetzt."
Bei der Gestaltung des Gebäudes ließen sich die Architekten auch von den Filmen und räumlichen Ideologien des Regisseurs Wes Anderson inspirieren – so erinnert The Pink Zebra doch stark an das Grand Budapest Hotel* aus dem gleichnamigen Film. Bekannt sind Andersons Filme vor allen Dingen für extreme Symmetrien, eigenwillige Sets, skurrile Handlungen und Pastellfarben – gerne auch Rosatöne. In seinen Filmen erschafft der Regisseur häufig bunte Traumwelten und kreiert Settings, die mit ihrer besonderen Ästhetik einen hohen Wiedererkennungswert haben. Mit seiner Farbgebung und den kontrastierenden Streifenelementen scheint The Pink Zebra selbst Drehort eines Anderson-Films zu sein. Als Gast der Feast India Company ist man von dem illusionistischen Design anfangs sicher irritiert – taumelnd durchstöbert man die Räume, versucht das Gesehene zu verarbeiten. "Das Ziel unserer Arbeit ist es, ein Bewusstsein für die Wahrnehmung physischer Räume, in denen wir uns ständig aufhalten, zu entwickeln. Dabei geht es sowohl um das Design als auch um die Ästhetik." Jedes Projekt des Architekturbüros hat seine ganz eigene Identität, die durch den Einsatz außergewöhnlicher Elemente geschaffen wird und den Menschen auf den verschiedensten Ebenen berührt. So schafft The Pink Zebra eine aussagekräftige Verbindung von Architektur und Kulinarik: "Es entführt den Gast in eine andere Welt und lässt ihn Teil eines eigenen Kosmos werden" – eines Kosmos, in dem auch durch Restaurants schreitende pinke Zebras durchaus zur Realität gehören.
*The Grand Budapest Hotel: Im Jahr 2014 kam die Tragikomödie "The Grand Budapest Hotel" in die deutschen Kinos und verzauberte mit ihren farbenfrohen Kulissen, den majestätischen Gebäuden, ihren skurrilen Charakteren sowie ihrem unvergleichlichen Humor viele Zuschauer. Der Film trägt die unverkennbare Handschrift Wes Andersons, der sowohl Regie führte als auch das Drehbuch verfasste. Mit viel Liebe zum Detail erschuf er ein märchenhaftes Universum, in dem der Concierge Gustav H. des berühmten Grand Budapest Hotel in dem imaginären Land Zubrowka den Pagen Zero zum Freund gewinnt. Gemeinsam durchleben sie einige Abenteuer. Das Hotel selbst erstrahlt in wunderbaren Rosatönen, die auch in weiteren Filmszenen immer wieder auftauchen. Bei der architektonischen Gestaltung ließ sich Anderson unter anderem von dem Budapester Hotel Géllert inspirieren. Und auch die Zuckerbäckerei Mendl, die das Hotel mit rosafarbenen Konfektschachteln beliefert, hat ihren Ursprung in einer realen Institution: der größten Zuckerbäckerei Wiens namens "Aida". Seit 1913 werden hier Torten, Kuchen, Gebäck und noch viele andere Köstlichkeiten hergestellt – und das vor einer rosa Kulisse, angefangen bei der Fassade bis hin zu den Uniformen der Kellner/-innen.
The Pink Zebra lässt den Gast Teil eines eigenen Kosmos werden.
Sanchit Arora