Dieser Artikel erschien in der colore #bonbonrosa
Bestellen Sie die Printausgabe per E-Mail an: kontakt@brillux.de
In der Beschreibung von Räumen werden ihre Farbkonzeptionen deutlich und zur Inspiration für eigene Planungskonzepte. Das konzeptionelle Nachdenken über farbige Räume beflügelt, kann zu einer Gedankenreise werden. Ein Aufruf, wagemutiger zu werden, souveräner mit Alltagsräumen umzugehen und anstatt der weißen Räume Konzeptionen in Farbe zu entwickeln. Geben Sie Ihren Konzepten räumliche, gedankliche und inhaltliche Tiefe!
"Bonbonrosa erinnert mich an ein Ereignis meiner Berufspraxis: In Planung war die Vorstandsetage im 17. Geschoss einer Bank mit Konferenz- und Speiseräumen, einem Empfangsraum und dem abseits gelegenen Raum für Feiern der Mitarbeiter. Dieser Raum sollte ausschließlich grau sein, man wählte ein Mausgrau – trotz der Farbvorschläge einer lebendigeren Mischung von Warmgrau und Kaltgrau. Während in den anderen Gästebereichen mutige Konzeptionen von Rot-Grün-Kontrasten vorherrschten, wurden hier maximal Strukturen erlaubt. Im Büro entschieden wir, alle Schrankinnenleben in Bonbonrosa zu lackieren. Das umfasste eine ganze Einbauwand hinter dem Ausschank, zwei Außenwände waren gläsern, die dritte wurde grau changierend gespachtelt. Wir erwarteten mit Spannung die Reaktion des Vorstands. Beim morgendlichen Rundgang ermutigten wir dazu, den Gläserschrank im Thekenbereich zu öffnen, und nach anfänglichem Stutzen und blasser Gesichtsfärbung begannen alle zu lachen, eine heitere Atmosphäre breitete sich aus. Wenn die Bar geöffnet war, leuchtete das dominante Rosa und prägte den vorher uniformiert grauen Raum freundlich."
Prof. Eva Filter von der Detmolder Schule für Innenarchitektur rückt das Thema Farbe in dieser Rubrik in den Gestaltungsfokus und hebt die Macht der Farbe auf eine höhere Ebene.
In Bonnards Interieur-Bildern sind die unendlichen Nuancierungen von Rosa in flirrendem, impressionistischem Farbauftrag zu sehen. Der Dialog zwischen warmen und kalten Tönen bewirkt die Verschmelzung von Vordergrund und Hintergrund, die Polarität zwischen Innen und Außen, zwischen Natur und Kultur wird sichtbar. Ist es ein glühendes Rosa wie Parmarosa oder Fuchsie / Magenta oder das sanfte gedämpfte Puderrosa, das zarte Muschelrosa? Kippt das Rosa zum Orange – zum Lachsrosa oder Pfirsichrosa, zum kühleren Blauviolett, wie das Pflaumenrosa, oder zum erdigen Terracotta, wie ein Altrosa? Immer wieder verwendet Bonnard ein kaltes Rosa, ein fast fliedriges, milchig-kühles Pink neben dem Rosa der Haut seiner Akteure.
Welche Farbräume bleiben im Gedächtnis? Das große Geheimnis ist der Zusammenklang der Farben und Materialien und dass sie mich berühren. Ein türkisches Bad in Budapest ist in meiner Erinnerung lebendig geblieben: Stellen Sie sich vor, Sie verlassen die Umkleide und gehen durch einen langen Flur barfuß auf einem hölzernen Steg, ein hohler Klang begleitet Sie, Sie sind nur noch bekleidet mit einem gewebten weißen Baumwolltuch. Dann betreten Sie durch einen 1,50 Meter hohen Rundbogen einen runden Raum, dessen Peripherie zweischalig ausgebildet ist: Ein Kreis von Rundbögen auf steinernen Säulen begrenzt das leicht türkis anmutende Wasserbecken in der Mitte. Ihre Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen und an die Nebelschwaden, die den Raum durchziehen.
Die einzigen Lichtpunkte kommen sternengleich aus dem Kuppelgewölbe über dem Wasserbecken. Sie empfinden Wärme und hören gedämpft perlende Wassergeräusche. Es riecht nach Schwefel und schmeckt nach Kamille. Wände und Becken sind mit großflächigen, samtig erscheinenden Sandsteinplatten bedeckt, ein sich zimtfarben- olivgrün abzeichnendes Farbenspiel. In dieser archaischen Atmosphäre wirken die rosige Hautfarbe der Badenden und die geplätteten weißen Baumwolltücher wie eine stille Zwiesprache. 1598 wurde das Kiraly- Thermalbad erbaut – Zimt, Oliv, Rosa, Weiß, Temperatur, Farben, Klang, Material schwingen miteinander in einer Geschichten erzählenden Patina. Der Mensch mit seiner Hautfarbe wird Bestandteil des Raumkonzeptes, "Erdiges und Luftiges" begegnen sich.
"... das ist die Wechselwirkung zwischen den Menschen und den Dingen", sagt Peter Zumthor, und wenn man sein Bad in Vals betritt, dann ist es ein beeindruckendes Raumkonzept: Die Umkleiden erlebt der Badegast wie in englischen Schiffskabinen – in rotem Mahagoniholz. Im Kontrast dazu steht der im ganzen Bad verwendete bläulich-grüne Quarzit. Die schmalformatigen, horizontal verlegten Steine wirken wie großformatige lineare Platten – am Boden sind sie ebenso verlegt, an der Wand werden sie filigran geschichtet, es entstehen kubische Raumsequenzen. Einige der Kuben sind über schmale, hohe Eingänge mit Treppenstufen begehbar und enthalten Blütenbäder, der Badende taucht in unterschiedlich warmes Mineralwasser mit Rosen- oder Jasminblüten.
Eisenhaltiges Wasser rieselt an den wegbegleitenden Wänden herunter und hinterlässt rhythmisch- terrakottafarbene Spuren. Das herabrieselnde Wasser findet seinen Weg in offenen Rinnen, die seitlich der Bodenplatten eingelassen sind. Das weiche Plätschern begleitet den Gehenden. Man schreitet eine sanft sich neigende Rampe über großformatige Steinplatten hinunter. Im Saunabereich unterteilen schwarze Ledervorhänge die Zonen unterschiedlicher Wärme, mittig darin thront ein großer, schwarzer, gewärmter Granitblock als Sitzgelegenheit. Der choreografische Höhepunkt des in der Tiefe des Berges liegenden, höhlenartig anmutenden Ambientes ist ein großformatiger Ausblick in eine grüne – oder im Winter weiße – Bergwelt. Das Außen wird farblich zu einem Teil der Innenwelt. Die Körper der Badegäste mit der überwiegend schwarzen Badekleidung erscheinen im milchig-türkisigen Wasser seltsam verfremdet und lassen wohl auf das architektonisch interessierte Publikum schließen.
In der Baugeschichte gab es bevorzugt künstlich erzeugte Farbgebungen: Weiß, Gold, Apfelgrün und Rosa im Rokoko, mit Rosenholz und blaustichigem Rosa. Altrosa, Gelbgold oder Schweinfurter Grün mit schwarzem Ebenholz und Kirschbaum, Birnbaum, Nussbaum mit Messing- und Porzellanbeschlägen im Biedermeier. Ein klares Blau im Klassizismus. Atmosphärisch mutige Farbräume hat die Innenarchitektin Prof. Ellen Birkelbach von 1950 bis 2006 geschaffen, nachdrückliche Konzeptionen, die im Gedächtnis bleiben: gelbe Ledersofas vor anthrazitfarben dunkler Wand, pinkfarbener Zweisitzer vor zart hellgrauer Wand – die Möbel werden zu Akteuren.
Ein eigenwilliger, beeindruckender Entwurf war der Büroraum für ein Vorstandsmitglied einer Düsseldorfer Bank. Drei Wände des Raumes waren bekleidet mit einer tiefdunklen, bläulich schimmernden, russischgrünen Tapete. Das großformatige Fenster ab der Brüstungshöhe an der vierten Raumseite war eingefasst in weißem Lack, ebenso die Heizkörperverkleidungen darunter und die Türeinfassungen: alles fein untergliedert und proportioniert, das Weiß sprühend und frisch. Ein blütenweißer Voile vor dem Fenster verklärte das Außengeschehen und komplettierte die "weiße" Wand in Materialdifferenzierungen von glänzend bis matt fließend. Ein Schreibtisch aus Rosenholz, in einfacher Wangenkonstruktion massiv laminiert, dominiert den Raum. Ihm gegenüber vor der dunkelgrünen Wand bildet ein Sofa mit Hussen aus dunkelgrünem schottischem Tartan, der strukturiert ist durch olivige Blockstreifen und wenig hellblaues und rotes Fadenkaro, wundervoll herbe Kontraste. Die zwei dazugesetzten Sessel leuchten rosarot, ebenso leuchtend thront über dem Zweisitzer mit niedrigen Lehnen ein abstraktes großes Ölbild. Einfache kubische Formen glühen im proportionalen Klang einer Familie aus Rosatönen: Orange, Rot, Terrakotta, Lachs.
Eine ebenso leichtfüßige Farbkomposition schuf sie in dem Privathaus eines Apothekers: Lachsrosa, Terrakotta, Kirsche, Weiß. Zwischen fliedergrauen Wänden ein terrakottafarbener Schurwollteppich mit Ornamenten in Lachsrosa – wie die Sonnenflecken, die den Tag über durch zwei bodentiefe Fenster in den Raum fallen. Es lassen sich Überschneidungen zwischen Ornamenten und realen Lichtreflexen in ständigem Wandel beobachten. Zwei cognacfarbene Ledersessel mit Fußschemeln und kleinen grauen Beistelltischchen neben weißen, filigranen Stehleuchten, grauer Fernseher auf grauem Sockeltisch, an den Wänden große Aquarelle in Rahmen aus Kirschbaum.
Im Wohnraum: terracottafarbenes, großzügiges Überecksofa, mit Epinglé bezogen – vor grauen Wandflächen, auf denen nur weiße Bilder in grafischen Strukturen und Silhouetten gezeigt werden. Die graue, grün changierende Wandfarbe rahmt die Bilder, Vordergrund und Hintergrund ergeben ein reiches Wechselspiel im Sehen. Ein Teppich in erdigem Rot mit orangen und rosafarbenen Nadelstreifen ist ein mutiger Akzent neben den weißen Glasobjekten, die oberhalb der Rückenlehne (grünliches Grau, Weiß und Terrakotta, erdiges Rot mit Orange und Rosa) des Sofaeinbaus platziert sind.
John Soane, Architekt des englischen Königshauses im 19. Jahrhundert, beherrschte die Facetten räumlicher Farbgebung. Sekundärhüllen in den drei Reihenhäusern, die er im Inneren als Raumexperiment begreift, schaffen eine Zauberwelt. Ein auf Stützen stehender kuppelförmiger gelber Baldachin im Frühstücksraum des heutigen Soane Museum gibt in alle vier Raumrichtungen den Blick frei auf orangefarbene Wände, die – so scheint es – einen größeren Raum über dem Baldachin beschreiben. Alles geschaffen, um die vielen Exponate einer Sammlung wie in einer Wunderkammer zeigen zu können. Die Intention des größer wirkenden Raumes erfüllt sich auch in den vier konvexen Rundspiegeln, die sich in den ebenfalls vier gerundeten Raumspitzen des Baldachins befinden. Auch das Bilderkabinett hat doppelte Wände, ein Mann mit weißen Handschuhen klappt sie öffnend wie riesige Fensterläden: Mal steht der Besucher vor blaugrauen Wänden in Bildern von Turner, dann vor mattgrünen Wänden in Bildern von Canaletto. Ein verblüffender zweischaliger Atmosphärenwechsel. Das Licht kommt aus Deckenlichtern mit Tageslicht und war Vorbild für heutige Museumskonzeptionen. Im Obergeschoss gibt es ein sonnengelbes Malzimmer mit vorgelagertem Wintergartenbereich in einem leuchtenden Zitronengelb, ein strahlender Impuls in dem sonst fensterfreien Mittelraum. Die geschichtete Fassade ermöglicht stille Zonen. Mutig, diese englischen Vorbilder, sie haben sich auf die englische Kultur in der Innenarchitektur und in die architektonischen Gärten übertragen lassen. Diese Gärten sind "Zimmer" mit unterschiedlichen Atmosphären, man denke an den weißen Garten von Sissinghurst.
Ebenso beherbergt das Charleston Farmhouse in Sussex, Rückzugsort der Bloomsbury-Bewegung während des Krieges, wundervoll farbige Räume. Geschaffen haben sie Vanessa und Clive Bell sowie Duncan Grant, der große englische Maler. Dort verschmelzen die farbig bemalten Möbel und Textilien mit den Farbgestaltungen der Wände, alles wird zu einem einheitlichen Konzept. Blattwerk, Quadrate, Kreise, Paisley-Muster und Arabesken – dazwischen Bildfantasien aus Figuren, Körpern, Silhouetten und Stillleben. Farbe zoniert Raumbereiche und fügt sie über gemalte Strukturen wieder zusammen. Virginia Woolf schreibt in ihrem Tagebuch am Samstag, 23. August 1922: "Charleston ist wie immer, man hört Clive im Garten schreien, bevor man angekommen ist. Nessa taucht unter einer großen, bunt gefleckten Astern- und Artischockendecke hervor, nicht sehr herzlich, ein bisschen geistesabwesend. Clive platzt aus allen Hemdsnähten, sitzt breit in seinem Sessel und blubbert. Dann kommt Duncan hereingeweht, ebenfalls zerstreut, geistesabwesend und auf unglaubliche Weise in gelbe Westen, gepunktete Krawatten und alte blaue verfleckte Malkittel eingewickelt. Er muss sich ständig die Hosen hochziehen. Er zerzaust sich die Haare. Ich kann jedoch nicht umhin zu meinen, dass wir herzlich zueinander sind, statt uns aus den Augen zu verlieren."
Die Chapelle du Rosaire, eine kleine Kapelle in Vence an der Côte d'Azur, wurde von Henri Matisse gestaltet. Der Boden aus großformatigen, quadratischen weißen Fliesen, die punkthaft immer an ihren Eckpunkten winzige blaue Quadrate diagonal eingesetzt haben. Die Wände tragen großformatige Flächen aus weißen hochglänzenden Fliesen, die mit sehr einfachen schwarzen Strichzeichnungen von Figuren im Altarbereich sowie Blattmotiven im übrigen Kapellenbereich bemalt und bezeichnet sind. Die Farbe kommt ausschließlich durch raumhohe schmale Fenster, die in Blau-, Grün- und Gelbtönen verglast sind. Dadurch entstehen im Innenraum bei Sonnenlicht flirrende frische Farbakzente über Boden, Wand und Decke verstreut. Glänzende und matte Flächen reflektieren unterschiedlich intensiv, spielen mit dem sich ständig verändernden Zufall des Lichteinfalls. Die Farbe ist nicht gebunden an die Materialflächen, sie bleibt unabhängig, sich ständig mit dem Licht verwandelnd. Hinter dem Altar haben zwei hohe Rundbogenfenster ein dunkelblaues textiles Tuchmotiv, das einen deutlichen Fokus setzt. Matisse selbst sah es als sein Meisterstück, das er der Suche nach Wahrheit widmete.
Wir sagen 'Das ist eine schöne farbliche Atmosphäre'. Doch was fasziniert uns an einer Farbatmosphäre? Welche Mittel und Praktiken führen zur Erzeugung von Farbkompositionen? Was ist das geheime Sensorium der Poesie in atmosphärischen Räumen? Wenn wir als Planer eine "Kultur der Gefühle" kreieren, muss Spüren zu vorbewusstem Handeln werden. Peter Zumthor nennt es die "Magie des Realen": "Radikal, kräftig, differenziert rhythmisch, deutlich, klar und rau, strahlende Klangfarben, schlicht und durchsichtig – wie die Musik Strawinskys." aus "Atmosphären", Birkhäuser In Collagen wird das "Eingewobenwerden" der einzelnen Töne in ein Konzept sichtbar, es entsteht ein fließendes Nebeneinander der Farben. Ineinanderfließende Farben machen die Formen verwandt, verfremden die Dinge aber auch. Kontraste werden sichtbar und manipulierbar. Verdichtung und Offenheit der Strukturen müssen komponiert werden.
Ein dominantes Farbkonzept realisierte unser Büro (Filter und Filter) in dem kleinen Grünkabinett, dem Konferenzraum einer Vorstandsetage, der zu einem größeren erweiterbar sein sollte. Diese multifunktionale Nutzung brauchte klare Gestaltungssprachen, um beiden Räumen eindeutige Abschlüsse zu geben. Die Flexibilität sollte unsichtbar sein. Wir überlagerten die Raumperipherie mit einer farbigen Haut in eigener Kubatur. Die in der Wandperipherie versteckte, mehrfach geteilte Schiebetür wurde gestalterisch aufgelöst in Farbflächen, sodass diese sich ergänzen und die Erweiterungsmöglichkeit gar nicht offenkundig wird. Jeder Raum ist gestalterisch für sich abgeschlossen: der kleinere, der größere und der Gesamtraum. Ist die Schiebewand geöffnet, so entschwindet sie beidseitig in der Wandperipherie und ein großer saalartiger Raum eröffnet sich. Maigrün, Hellgrau, Olivgrün, Viridiangrün: komplett bezogene Lederstühle in Dunkeloliv an fast schwarzgrünen Tischen, Zitronenholz für die geheimen Fächer der Davidoffs Nr. 1.
Eva Filter: "Gerade habe ich mich in die Farbe des Zimtes verliebt, die neben Lehmputz kontrastiert mit eingesetzten Flächen in hellem fliedrigem Blau: warmes violettes Blau und kühles, fast türkisches Blau bilden den Hintergrund für eine Bildersammlung aus Aquarellen und Collagen."