Fotos: Roland Justynowicz, Wikimedia
Dieser Artikel erschien in der MarktImpulse, Ausgabe 1/18
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In der Zitadelle in Spandau marmorieren die Malermeister mit reiner Muskelkraft und schablonieren mit Fingerspitzengefühl. Sie arbeiten mit Feder, Schwamm und Rosshaarpinsel.
Kein Kaffee, keine Konversation, keine Kollegenvorstellungsrunde. Der Besuch in der Zitadelle startet stattdessen mit einem Witz: "Ein Maler ohne Lappen ist wie ein Ritter ohne Wappen", hallt es zur Ateliertür heraus. Die drei Azubis, die eben noch konzentriert mit ihren Pinselspitzen auf eine Deckenschablone einklopften, klopfen sich nun auf die Schenkel. Das ist wohl weniger dem Witz geschuldet, den kennen die Jungs längst, sondern vielmehr der Art des Erzählers.
Während Klaus-Peter Engelhardt erneut tief Luft holt, knatschen die Verschlüsse seiner weißen Latzhose verdächtig, und er lacht los, bevor das erste Wort über seine Lippen kommt. Der Malermeister sei mit seinen 76 Jahren der König hier, erklärt Christian Schiller. Vor allem das sei das Schöne an dieser Gemeinschaft, so der Malermeister, es gebe immer was zu lachen.
Dann hebt der 57-Jährige den Zeigefinger und sagt: "Klaus-Peter ist aber nicht nur eine wandelnde Witzkiste, sondern auch ein wandelnder Erfahrungsschatz." Die Malermeister Schiller und Engelhardt kennen sich seit 39 Jahren. Beide sind Gründungsmitglieder des Arbeitskreises Werkkunst, der sich in der Zitadelle in Berlin-Spandau, einer Renaissancefestung aus dem 16. Jahrhundert, niedergelassen hat.
Sie und zehn weitere Malermeisterinnen und -meister machen es sich seit 20 Jahren zur Aufgabe, alte Techniken aus vergangenen Jahrhunderten zu bewahren, die Qualität des Malerhandwerks zu beleben und ihre Erfahrungen weiterzugeben.
Ihr Zusammenschluss gleiche einer mittelalterlichen Zunft, findet Christian Schiller. Mit einem Unterschied: "Wir genießen die Vorzüge, wie den bedingungslosen Zusammenhalt und das Teilen von Wissen, aber ohne die altmodischen Nachteile, wie Arbeitszwang und Preisunterwerfung."
Die sucht man hier vergebens. Die Malermeister der Zitadelle verstehen sich nicht als Restauratoren, die möglichst nur mit originalen Werkzeugen und ursprünglichen Farbmaterialien aufarbeiten. "Eher das Gegenteil", sagt Christian Schiller. "Wir wollen die perfekte Optik, keine Originalität – und das preisgünstig." Dafür nutzen die zwölf Maler zwar auch Rosshaarpinsel, Bier und Blattgold (s. Kästen), aber ebenso moderne Geräte und Pigmente, um die alten, aufwendigen und zeitintensiven Techniken günstiger nachzuahmen.
Ihre "Spielplätze", wie der Malermeister sie nennt, sind beispielsweise alte Berliner Treppenhäuser, die wieder in ihren Originalzustand versetzt werden sollen, ohne dabei zu viel Geld für Materialien zu verschlingen. "Wir sind Künstler der Imitation und der Illusion", erklärt der 57-Jährige die Spezialität des Arbeitskreises. "Es muss nicht echt sein, aber echt aussehen."
Ihr Stuck ist aus Styropor, die Farben kommen aus der Fabrik, die Säulen sind in Marmoroptik und von innen hohl. Ihre Beschichtung allerdings geschieht mit reiner Muskelkraft, wie es einst die Zunftmaler machten: Sie pressten Kalk in vielen Schichten mit dem Spachtel aufeinander, bis sich eine spiegelglatte Oberfläche bildete.
Das einzige alte Inventar in ihrem Atelier ("Außer Klaus-Peter?", raunt ein Azubi und grinst) sind über hundert Jahre alte Apparaturen, die hier Regale säumen und Glasvitrinen füllen: Kalkspritzen groß wie eine Draisine, Waagen, die einem kleinen Elefanten Platz böten, und hüfthohe Fässer mit verrosteten Beschlägen verleihen den zwei Räumen einen Schimmer vergangener Zeiten.
Die älteste deutschsprachige Fachzeitschrift erschien zum ersten Mal im Jahr 1881. Die sorgfältig gezeichneten und gefalteten Seiten waren Pflichtlektüre für Maler, Lackierer und Vergolder. Die Zitadellenmeister fanden diese vergilbten Ausgaben zufällig auf dem Dachboden einer Kundin, deren Vater einst Schriftenmaler gewesen war. Glück für die Maler: Eine der dort skizzierten Schablonen aus dem Jahr 1900 kam erst vor wenigen Monaten in einem Berliner Altbautreppenhaus zum Einsatz: "Die Leute sind wieder bereit zu zeigen, was sie haben", erklärt Christian Schiller den Trend, der wieder weg vom Purismus und hin zum Prunk geht. Den 57-Jährigen und seine Kollegen freut das: Ihr Ziel sei es vor allem, den Zeitgeist der Bauten wiederherzustellen, sagt der Malermeister. Und um einem alten Haus Techniken korrekt zuzuordnen, sei die "Mappe" eine große Hilfe und inspirierende Quelle.
Darauf setzt diese moderne Zunft. Malermeister Andreas Best, 42, erzählt von einem aktuellen Projekt, bei dem er – statt wie früher mit klassischem Kalk – mit Silikatfarben arbeitet. Auftraggeber ist ein namhafter Modedesigner aus Potsdam, die Baustelle groß und arbeitsintensiv. Die Kollegen bieten sogleich Hilfe an: "Sag mal, kann ich dich unterstützen?" und "Brauchst du meinen großen Transporter?"
Hat einer der Meister zu wenig Kapazitäten, bezieht er, auf kurzem Wege via WhatsAppGruppe, die Mitglieder ein und holt sich Unterstützung. Diese Einstellung, da sind sich alle in der Zitadelle einig, mache sie alle besonders wettbewerbsfähig und zum Ansprechpartner für Architekten.
Sie beschere ihnen sogar immer umfangreichere Aufträge, da so jeder von ihnen Baustellen bearbeiten könne, die einem allein zu groß seien. Und der Mut, um Hilfe zu bitten, habe auch noch keinem geschadet, sagt Christian Schiller: "Nur so konnte ich im Hotel Adlon arbeiten."
Alles, was der Arbeitskreis unternimmt, dient nicht nur den Meistern im Jahr 2018, sondern auch ihren Nachfolgern. Ihm sei völlig klar, dass der Arbeitskreis nicht ewig in dieser Konstellation bleiben könne, sagt Christian Schiller. Einige gehen in Rente, andere ziehen weg. Der 57-Jährige möchte den Geist der Zunft für die Zukunft erhalten. Damit meint er nicht den seiner Meinung nach antiquierten Ausspruch "Hier herrsche Zunft und Ordnung", sondern den Zusammenhalt und die Möglichkeit, voneinander zu lernen. "Damals im 12. Jahrhundert schlossen sich die Maler zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen zusammen", sagt er. Und das gelte heute genauso. "Im 14. und 15. Jahrhundert wurden Vertreter der Zünfte sogar an der politischen Leitung von Städten und Gemeinden beteiligt", erzählt der Malermeister. Das sei aktuell nicht erstrebenswert, so Christian Schiller, Berlin sei doch schwierig zu regieren. Aber die Möglichkeit, sich ein eigenes Zunftwappen zu geben und interne Qualitätsvorgaben zu formulieren, das schätze er sehr.
Ebenso wenig schade eine faire Preispolitik, findet der Malermeister, der seit über 30 Jahren selbstständig ist und für die Innung als Bezirksobermeister für Spandau und Charlottenburg arbeitet. Er ärgert sich über schwarze Schafe in der Branche: Viele arbeiten ihm qualitativ nicht hochwertig genug und verlangen zu viel Lohn dafür. "Wir begreifen uns als Handwerker, nicht als Halsabschneider."
Seine Stimme wird lauter, seine Gesten werden raumgreifender: "Wenn wir gut arbeiten, verdienen wir gutes Geld. Nicht mehr und nicht weniger." Die Azubis nicken, während sie ihre Schablone bearbeiten. Sie lernen hier nicht nur, wie man einmal in der Woche zünftig bei einem Bierchen zusammensitzt, wie man mit Reißlack arbeitet, marmoriert oder vergoldet.
Sie lernen ebenso, dass es im Handwerk einen Ehrenkodex gibt. Und der beinhalte nicht nur, dass man Baustellen mit sauberen Fenstern hinterlasse, so Christian Schiller. Sondern auch, wie man freundlich, aber bestimmt mit bornierten Bauherren umgehe oder extrem fantasievollen Architekten auf Augenhöhe begegne.
Die Magie der Gemeinschaft sei das wahre Geheimnis einer Zunft, sagen die Chefs der gutgehenden Betriebe im Berliner Umland. "Im Mittelalter teilte man seinen Erfahrungsschatz, heute herrscht die Ellbogengesellschaft. Dieser Gleichgültigkeit wirken wir mit dem Arbeitskreis entgegen", sagt Detlef Remmler, 68.
Diese Worte sind sein Schlussplädoyer, während er sich am Kopfende mit den Fäusten auf die fünf Meter lange Tafel stützt. Über ihm thront ein wandfüllendes Bild, auf dem eine mittelalterliche Zusammenkunft einer Zunft zu sehen ist. Darauf wird diskutiert, gelacht und getrunken. "Das sind wir", ruft Klaus-Peter Engelhardt von nebenan, "aber wir sehen viel besser aus." Wieder ist leises Klopfen zu hören.
Was tun, wenn eine neue Tür, die nicht einmal aus Holz ist, nach alter hölzerner Patina aussehen soll? Dann öffnet Detlef Remmler (unten) erst einmal ein Bier. Die Meister schwören auf die Bierlasur, bei der die Maserung eines Holzes nahezu perfekt nachgeahmt werden kann. Dafür mischt der Malermeister die Farbpigmente nach und nach mit dem Bier und trägt sie auf. Praktisch: Solange nichts mit Lack versiegelt ist, kann er jedes Muster wieder wegwischen.
Nicht alles, was neu ist, ist auch wirklich besser. Die Maler der Zünfte im Mittelalter nutzten ganz schlichte Rosshaarpinsel, um zu streichen. Und das tun auch die Maler der Spandauer Zitadelle bis heute. Man kann auf dem Bild sehen, dass der neue Pinsel (rechts) dem alten fast aufs Haar gleicht: von der Form bis zum Holzgriff. Der einzige Unterschied ist die Schweiffarbe des Pferdes, das die Haare vor über hundert Jahren spendete, und ein wenig Rost. Malen würde er fast ebenso gut – wenn er nicht in der Ausstellungsvitrine gebraucht würde.