Unter dem Titel "Abseits bekannter Pfade – Zeitgemäße Konzepte für den Wohnungsbau" widmete sich das 22. Brillux Architektenforum dem brandaktuellen Thema "Bezahlbarer Wohnraum". Erstmalig fand die Veranstaltung nicht in Deutschland statt, sondern machte in Österreichs Hauptstadt Wien Station. Das hatte seine Gründe: Wien hat, was bezahlbaren Wohnraum und Lebensqualität angeht, weltweit eine Vorreiterrolle. Dazu gab es spannende Exkursionen.
Wohnen in den Großstädten wird immer teurer. Europaweit benötigen besonders die zuzugsstarken Ballungszentren zusätzlichen Wohnraum. Doch in vielen Kommunen ist nicht nur der Wohnraum knapp. Meist fehlt es auch an Flächen, die bebaut werden können.
Das macht das Bauen für die Städte und die Planer zu einer besonderen Herausforderung, zumal wenn Wohnraum bezahlbar sein soll, gleichzeitig demografische, sozial-nachhaltige, ökologische und ökonomische Anforderungen zu berücksichtigen sind sowie architektonische Qualität garantiert sein soll.
Dass das geht, zeigte das 22. Brillux Architektenforum eindrucksvoll mit Blick auf Österreich, die Schweiz und die Niederlande. Hochkarätige Referenten stellten anhand verschiedener Wohnbaumodelle und Bauprojekte vor, wie es funktioniert und was Deutschland vom Wohnungsbau in Städten wie Wien, Zürich oder Amsterdam lernen kann.
Warum Wohnraum in Wien ausreichend vorhanden und so erschwinglich ist, beschrieb der ehemalige Wiener Planungsdirektor und heutige Vorsitzende des Grundstücksbeirats und Berater im Büro der Geschäftsgruppe Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung der Stadt Wien, Dipl.-Ing. Dr. Kurt Puchinger: "Wien hat im Bereich der sozialen Wohnbaupolitik eine lange Tradition. Die heutige Wohnsituation ist das Resultat langjährig angelegter Strukturen." Heute profitieren 62 Prozent der Wiener Haushalte in geförderten Wohnungen. Seit 1920 läuft die Förderung in eigene Bestandsobjekte.
"Fördermittel sind keine Almosen für die Ärmsten der Armen. Sie dienen der Strukturerhaltung in der Stadt, indem sie Wohnen für mittlere und geringere Einkommen leistbar machen", so Dipl.-Ing. Dr. Puchinger.
Die Stadt Wien ist Eigentümerin von 220.000 Wohneinheiten, die circa 25 Prozent des gesamten Wohnbestandes ausmachen. Weitere 200.000 leistbare Mietwohnungen sind im Besitz gemeinnütziger Wohnbauträger. Kontinuierlich kauft die Stadt potenzielles Bauland auf, um neue Flächen zu gewinnen.
Und statt die Stadt profitorientierten Investoren zu überlassen, gestaltet man sie mittels sogenannter Bauträgerwettbewerbe selbst. „Wir wollen damit sicherstellen, dass architektonische Ideen eingehalten werden, während die Miethöhe leistbar bleibt und zugleich eine funktionierende soziale Durchmischung in den Wohngebieten gewährleistet ist“, erläuterte Dipl.-Ing. Dr. Puchinger.
Den geförderten Wohnungsbau lässt sich Wien allerdings auch etwas kosten: Rund 600 Millionen Euro investieren das Land und die Stadt Wien gemeinsam jährlich in bezahlbaren Wohnraum. Dass die österreichische Hauptstadt 2015 zum sechsten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt gekürt wurde, liegt also nicht nur am gut funktionierenden Nahverkehr und der hinreißenden Kaffeehaus-Kultur, sondern auch daran, dass die Stadt sowohl am Grundbesitz und Neubau wie auch an den Prinzipien festhält: Architektur, Ökonomie, Ökologie und Soziales.
Herwig Spiegl von ALLESWIRDGUT ARCHITEKTUR, Wien, hat mit dem Bauträgerwettbewerb nach dem Wiener Modell Erfahrungen. Im neuen Wiener Stadtteil "Seestadt Aspern", einem der größten Entwicklungsprojekte Europas, haben die Architekten von AWG in einer Arbeitsgemeinschaft mit DELTA ein Wohn- und Geschäftsgebäude mit 172 Wohneinheiten im sozialen Wohnungsbau realisiert.
Ein beispielhaftes Projekt für verdichtetes, bedarfsgerechtes Bauen und soziales Miteinander am Rande der Stadt: "Beim Innenleben der Häuser haben wir auf soziale Durchmischung und Wohnqualität geachtet", beschreibt Spiegl das Projekt. Treppenhäuser und Gemeinschaftsräume seien ein wesentlicher Teil des Konzeptes – als Orte der Begegnung und Kommunikation.
Verdichten ist für den Wiener Architekten ein notwendiger Schritt, um die Probleme, die mit dem Wachsen der Städte einhergehen, zu lösen. Schrumpfen ist eine andere Devise: "Wir brauchen kompakte Wohnungen mit effizienten Grundrissen, die am Bedarf orientiert sind und über gemeinsame Funktions- und Gemeinschaftsbereiche verfügen."
Schwer fällt es Spiegl zu glauben, dass in Zeiten des sozialen Wandels mit neuen Formen des Miteinanders die zwei Wohnmodelle – Einfamilienhaus im Grünen oder anonymer Geschossbau - die Konstante sein sollen. "Richtig wäre es, Fragen zu stellen, was die Leute wollen, und unsere Projekte zu evaluieren. Wir müssten dann nicht glauben, sondern wir wüssten!"
Raphael Frei von pool Architekten, Zürich, verdeutlichte anhand aktueller gebauter Beispiele, dass Wohnkultur und Baukultur im Wechselspiel zueinander stehen. Mit detailliertem Blick auf die einzelnen Projekte zeigte er, wie seine Häuser bewohnt aussehen.
"Wohnungsbau kann man nur als Utopie verstehen: Der Architekt denkt sich etwas, setzt es in die Realität um. Bewohner scheren sich nicht darum, was er sich gedacht hat, und nutzen Räume auf ihre Weise", so Raphael Frei.
Für Oliver Thill, Atelier Kempe Thill, Rotterdam, machen die massiven gesellschaftlichen Verschiebungen Wohnungsbau interessant: "Wir wissen nicht mehr, für wen wir bauen. Deshalb müssen Wohnungen flexibel und variabel sein, nicht nur während der Nutzung, sondern bereits in der Planung."
Bekannt ist das Rotterdamer Büro dafür, extrem günstig zu bauen. Sein Credo: Einsparen, um an anderer Stelle wieder außergewöhnliche Lösungen zu verwirklichen. Bei ihrem Projekt von 17 zweigeschossigen Stadthäusern haben Kempe Thill durch einen doppelt hohen Wohnraum erreicht, dass auch das Innere gut belichtet ist.
"Wir wollen Grenzen im extrem normierten Wohnbau ausloten und versuchen die 15 Prozent Freiheit maximal zu nutzen", sagte Oliver Thill.
Mit über 250 Teilnehmern war auch das wieder von Burkhard Fröhlich moderierte Forum in Wien komplett ausgebucht. Die nächste Veranstaltung ist für April 2018 im Raum Düsseldorf geplant.
Die Architektenkammer Baden-Württemberg hat die Veranstaltung mit 4 Unterrichtsstunden (nicht Architekten/Planer im Studium) anerkannt.
Die Architektenkammer Hessen hat die Veranstaltung mit 5 Architekten-Pflichtfortbildungspunkten anerkannt.
Die Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern hat die Veranstaltung als Fortbildung mit einem Umfang von 5 Unterrichtsstunden anerkannt.
Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen hat die Veranstaltung als Fortbildung mit einem Umfang von 4 Unterrichtsstunden anerkannt.
Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz hat die Veranstaltung als Fortbildung mit einem Umfang von 4 Unterrichtsstunden anerkannt.
Die Architektenkammer des Saarlandes hat die Veranstaltung als Fortbildungsveranstaltung i. S. der Fortbildungsordnung mit 5 Fortbildungspunkten anerkannt.
Die Architektenkammer Sachsen hat die Veranstaltung in die Liste der anerkannten Fortbildungsveranstaltungen eingetragen.
Die Architektenkammer Schleswig-Holstein hat die Veranstaltung mit 7 Unterrichtseinheiten anerkannt.
Die Architektenkammer Thüringen hat die Veranstaltung mit 7 Fortbildungsstunden für Mitglieder anerkannt.