Eine unkonventionelle Gestaltung, die nicht unbedingt unseren "Sehgewohnheiten" entspricht
Standort Stiller Gasse 23, 98574 Schmalkalden
Bauherr Inge Wutzler Immobilien Schmalkalden
Planung Inge Wutzler Immobilien Schmalkalden
Farbentwurf Brillux Farbstudio Münster
Ausführung Wagner Maler und Putzer GmbH Floh
Schmalkalden – eine Stadt mit vielen Fachwerkbauten im Thüringer Wald – besitzt mit seinem Altstadtkern ein wertvolles Zeugnis mitteleuropäischen Städtebaus, eine historisch gewachsene „Erlebniswelt" aus mehr als 1.000 Jahren Bau-, Stadt- und Kulturgeschichte: Romantische Winkel und enge Gässchen, die sich zu kleinen Plätzen auftun, liebevoll restaurierte Fachwerkbauten, steinerne Kemenaten, die spätgotische Hallenkirche St. Georg und Schloss Wilhelmsburg – die Perle der Renaissance-Baukunst gibt es in der lebendigen Stadt zu entdecken.
Die Stadt weist viele architektonische Einzeldenkmale, aber auch zahlreiche Straßenzüge auf, die unter Ensembleschutz stehen. Eines davon ist das Fachwerkgebäude Stiller Gasse 23, welches um 1840 erbaut wurde.
Nach 25 Jahren war die in den 70er Jahren im damals typischen braun-weißen Fachwerkstil sanierte Fassade nun verwittert und wirkte unscheinbar und energielos. Auf dem Nachbargrundstück wurde zwischenzeitlich ein neues Geschäftshaus errichtet. Die Hausfarben einer Bank – ein leuchtendes Blau – „erstrahlte“ an den Fenstern in taubenblauer Fassade. Es war das einzige sanierte Gebäude in dieser Straßenzeile.
Die Basis für die nun folgende und sehr ungewöhnliche Gestaltung stellte ein Werbeprospekt des Tourismusamtes dar, auf dessen Deckblatt ein mehrfarbiger Ausschnitt eines Fachwerkgebäudes zu sehen war, das es aber in Schmalkalden nicht gab. Die Idee der Bauherrin – selbst Immobilienmaklerin – war es, dieses Gebäude in Schmalkalden „entstehen“ zu lassen. Trotz aller anfänglichen Bedenken gab die Denkmalpflege das „O.K.“, und die Gestaltung konnte denkmalgerecht umgesetzt werden.
Sicher, die Gestaltung war ungewöhnlich und entspricht nicht unbedingt unseren „Sehgewohnheiten“. Nicht zuletzt deshalb sorgte sie bei der Stadtverwaltung für viel Diskussionsstoff – nicht nur im Rahmen der Bewilligung von Fördermitteln.
Das Haus zeigt alle möglichen auch in Schmalkalden wiederfind- oder nachweisbaren Gefachefarbigkeiten auf. Durch die Fuhrgeschäfte/Händler kamen schon früher viele italienische Pigmente in die Region – Venezianisch Grün, Ziegelrot, Ocker-, die heute oft vorherrschenden weißen oder sehr hellen Gefache waren zur Blüte des Fachwerkes fast überall farbig (vergleichbar mit Rothenburg o.b.T.).
Die Hölzer waren jedoch in dieser Region sehr oft dunkelbraun. Dies wurde sowohl in Schmalkalden als auch im benachbarten Suhl mittels Farbuntersuchungen ermittelt. In diesem Sinne erinnert das Gebäude „Stiller Gasse“ an die damals vorherrschende Farbigkeit.
Die Farbtöne der Gefache wurden so gewählt, dass sie harmonisch zueinander sind und weitestgehend an Erdpigmente erinnern, d.h., sie weisen einen genügend hohen Anteil Ocker bzw. Grau auf. Lediglich der Blauton war zur damaligen Zeit nicht machbar. Er wurde bewusst in die Gestaltung integriert, um die Verbindung zum Nachbargebäude herzustellen.
Leider wird heute thüringisches Fachwerk zu oft gleichgesetzt mit ochsenblutrotem Holz und weißen Gefachen. Eine Tendenz, die sich scheinbar leider auch bei der Denkmalpflege durchsetzt – immer mehr nachweisbar ursprünglich farbige Gefache „erstrahlen“ in Weiß oder sehr hellen Farbtönen, mit rotbraunem Fachwerkbalken. Dies ist begründet in unserer heutigen Sehgewohnheit.
Das Gebäude „Stiller Gasse“ soll zur Diskussion anregen, wachrütteln, farbliche Anregungen geben und zur Sanierung weiterer Gebäude ermuntern. Es ist die Verwirklichung eines Traumes, eines Wunsches – eingebunden und begründet in die Fachwerkgeschichte dieser Region.
Ungewöhnlich, aber attraktiv und interessant. Farbig, aber dennoch nicht bunt. Historisch auf eine ganz eigene Weise. Und es motivierte auch andere Eigentümer dieser Straße, mit der Sanierung ihrer Häuser zu beginnen – die Straße wurde attraktiver und farbiger. So manche Putzfassade erhielt wieder ihre ursprüngliche Farbigkeit. Nach und nach „wächst“ der sanierte Altstadtkern. Sanierung als Initialzündung für die Eigeninitiative der Nachbarn zu weiterer Sanierung.
Über dieses Objekt wurde in der Fachzeitschrift Malerblatt berichtet: Artikel ansehen (PDF)